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Interview Frank Peter Zimmermann

„Neue Gedanken zum Klingen bringen“

Der Geiger Frank Peter Zimmermann über den Reiz zeitgenössischer Werke, Kommunikation mit dem Orchester und Spontaneität im Konzert

vonAxel Brüggemann,

Auf den ersten Blick übersieht man ihn fast. Frank Peter Zimmermann ist nicht der Geiger, der sofort überall auffällt. Man ahnt nicht, dass er einer der profiliertesten Violinisten der Welt ist. Doch wenn man ihn einmal auf der Bühne erlebt hat, bleibt dieser Eindruck unvergessen.

Herr Zimmermann, Sie spielen mit Orchestern in aller Welt. Wie sehen Sie die deutsche Orchesterlandschaft?

Wir haben in Deutschland, dem Mutterland der Klassik, zum Glück eine unglaublich reiche Musik- und Orchesterkultur, die geprägt ist von ganz unterschiedlichen Geschichten und Hintergründen. Diese verschiedenen Bewegungen machen vielleicht die Spannung aus, die Konkurrenz, die verschiedenen klangphilosophischen und klanghistorischen Modelle. Für mich ist das ein Beweis lebhafter Musikkultur, und damit auch eine beruhigende Entwicklung in einem Land, in dem die Klassik immer einen Platz hatte – selbst nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Land in Schutt und Asche lag, wurde musiziert.

Was macht für Sie ein gutes Orchester aus?

 

Entscheidend ist die Spielfreude, eine Wachsamkeit und eine Intuition. Da unterscheiden sich viele deutsche Orchester von denen in den USA: Dort gibt es Chicago oder Cleveland als Ausnahmeorchester – aber in guten europäischen Orchestern merkt man, dass es reicht, Blickkontakt mit den einzelnen Instrumentengruppen aufzunehmen, um sie zu inspirieren. Am besten zeigt sich das bei Bach oder bei Mozart. Vor Jahren habe ich einmal ein Mozart-Konzert mit der Staatskapelle Dresden gegeben – ohne Dirigenten. Und was mich beeindruckt hat, ist der kammermusikalische Grundgedanke des Ensembles.

Wie ist das für einen Solisten – beeinflusst das Orchester, mit dem er spielt, auch seinen eigenen Klang? Oder ziehen Sie Ihr Klangideal einfach durch?

 

Im Idealfall ist das Orchester die zweite Haut des Solisten. Und es kommt bei Orchestern, bei denen die Chemie mit dem Solisten stimmt, zu durchaus wundersamen und erstaunlichen Begegnungen, bei denen etwas Gemeinsames entsteht, ohne dass viele Worte darum gemacht werden müssen.

Sie meinen, dass es nicht gut ist, wenn in Proben viel geredet wird?

 

Natürlich gibt es Werke, bei denen man über Grundkonstanten sprechen muss, etwa bei Alban Berg. Aber wenn man Beethoven oder Dvořák spielt, dann kann man sich auch treiben lassen, kann zuhören, reagieren und in einen musikalischen Dialog treten, der weitgehend ohne Worte auskommt.

Wie genau passiert das?

 

Ich glaube, das ist eine Frage der Mentalität. Natürlich hat ein Dirigent wie Carlos Kleiber viel geredet, weil es in seiner Natur lag. Und es kommt auch auf das Orchester an: Manche mögen Geschichtenerzähler, andere signalisieren ziemlich schnell, dass sie hauptsächlich auf die Musik als Dialogform setzen.

Ist der Solist denn ebenso gestalterisch tätig wie ein Dirigent?

Der Solist hat auf jeden Fall den Vorteil, dass er in der Regel Kollege der Musiker und ihr Verbündeter ist. Er ist kein Maestro. Man hat einen anderen Kredit, wenn das Orchester sieht, wie man sich etwa mit den Schwierigkeiten der Schostakowitsch-Partitur abmüht. Der Vorteil des Dirigenten besteht aber darin, dass

er sich um seine Technik weniger Gedanken machen muss und damit freier ist, sowohl das Orchester als auch den Solisten in andere Sphären zu bringen.

Und wie sind Ihre konkreten Einflussmöglichkeiten während eines Konzerts?

Man sollte sie nicht unterschätzen. Natürlich kann man das Orchester nach guten Proben in der Aufführung auch reizen. Und ich muss zugeben, dass mir das durchaus gefällt.

Dann sind Sie also auch Psychologe. Welche Tricks funktionieren besonders gut, um 100 Menschen ohne Worte innerhalb von Sekunden mitzureißen?

 

Das soll ich Ihnen nun wirklich verraten?

Ich bitte darum.

 

Das Einfachste ist es, zu stampfen – um zu signalisieren, dass man wirklich in der Musik ist und die anderen mitnehmen will. Das ist vielleicht ein plumpes, aber ein klares und wirksames Zeichen. Natürlich kann man auch die Tempi wechseln – etwa nach einer Kadenz und dadurch andere Solo-Spieler im Orchester herausfordern. Das geht aber nur mit Spitzenorchestern. Und wenn es klappt, entsteht eine Welle, die alle mitreißt. Und, ja, ich liebe diese großen emotionalen, musikalischen Wellen!

Solche Wellen sind bei moderner Musik wahrscheinlich schwieriger zu erzeugen. Sie bekommen auch Violinkonzerte von Gegenwartskomponisten zugeschickt. Verändern Sie dann viel?

 

Ich denke, dass die Zusammenarbeit sich verändert hat. Mir ist es wichtig, möglichst viele der innovativen Gedanken auch umzusetzen. Natürlich schreite ich ein, wenn etwas technisch unmöglich ist. Einen Doppelgriff kann man eben nicht auf einer, sondern nur auf zwei Saiten spielen. Aber in der Regel möchte ich selbst die komplexen und komplizierten Stücke möglichst originalgetreu interpretieren.

 

Haben Sie dafür Beispiele?

 

In dem Violinkonzert von Matthias Pintscher muss man all das, was man in den ersten acht Jahren des Geigenstudiums mühsam gelernt hat, vergessen – es geht eher darum Geräusche zu erzeugen statt Klänge zu produzieren. Mir gefällt das. Ganz anders, aber ebenso spannend, ist die jüngste Komposition von Brett Dean, die sehr geigerisch gesetzt ist – kein Wunder, denn Dean ist Bratschist. Im Ligeti-Konzert war ich der zweite Interpret, der Kollege in der Uraufführung  hat vieles gestrichen, aber ich habe es als Herausforderung verstanden, so viel von Ligetis Ideen wie möglich aus der Ur-Partitur in das Konzert zu retten.

Sie sind also Diener der Komponisten?

 

Ich möchte als Geiger, wenn möglich, die neuen Gedanken zum Klingen bringen, die ein Komponist aus unserer Zeit heraus geboren hat. Auch wenn das beim Publikum manchmal zunächst auf Widerstand stößt. Eine Besucherin bei uns in Köln hat mir nach einem Konzert mal gesagt: „Das war ja schön und gut mit der Uraufführung, aber können Sie beim nächsten Mal wieder was Netteres spielen?“ – und, das mache ich dann auch gern. Dvořák, zum Beispiel.

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