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Porträt Kevin John Edusei

Ein Obama für München

Der neue Chefdirigent der Münchner Symphoniker Kevin John Edusei will klassische Musik für alle

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Er könnte der jüngere Bruder von Barack Obama sein: groß gewachsen, elegant, smart, intellektuell gereift – und eine erfrischend jungenhafte Ausstrahlung. Ein Vergleich, der Kevin John Edusei herzlich auflachen lässt: „Aber ich komme doch aus Bielefeld!“ Dort wuchs er tatsächlich auf, bürgerlich und sehr „beschützt“ – eben eine typisch deutsche Kindheit. Dabei stammt sein Vater aus Ghana, der einst mit einem Stipendium fürs Medizinstudium nach Deutschland gekommen war und hier seine Heimat fand.

Musikalische Familie: Schon die Großmutter war Sängerin

„Würde ich aus einer Flüchtlingsfamilie stammen, wäre ich wohl interessanter für die Medien“, meint Edusei mit leicht ironischem Unterton. Und wird dann wieder ernst: „Ich bin auch kein Paradebeispiel für Integration. Ich bin Deutscher, meine Identität wurde nicht zuletzt durch die Liebe zur Klassik in der Kindheit geprägt.“ Seinem Vater ist klassische Musik der Ausgleich zum anstrengenden Arztberuf, seine deutsche Mutter, Historikerin und Theologin, liebt Musik ebenfalls – ihre Mutter galt einst als hochbegabte Opernsängerin. „Sie war die zentrale Figur in unserer Familie“, erinnert sich Edusei. Als junge Frau hatte sie in Bielefeld am Theater als Mezzosopranistin reüssiert, unter Hans Pfitzner und Eugen Jochum gesungen. Der Zweite Weltkrieg unterbrach ihre Karriere, zudem heiratete sie.

In der Familie kursiere bis heute die Anekdote, „dass sie seinerzeit angeblich über einen Tag festgehalten wurde, vom GMD und Intendanten, die unbedingt verhindern wollten, dass sie ihren Beruf aufgibt“. Vergebens. Irgendwann habe die Großmutter „den Flügel verkauft und die Noten verbrannt. Es war nicht einfach für sie.“ 2002 starb sie – zwei Jahre bevor Edusei als Erster Kapellmeister ans Theater Bielefeld berufen wurde. Ja, er sei damals traurig gewesen, dass sie dies nicht mehr erlebt habe, blickt der Enkel zurück – wie auch hernach nicht die Dirigierpreise und Stipendien, die er einheimste, bevor ihn dann die weiteren Stationen nach Augsburg, Bern und jetzt eben München brachten.

Dabei hatte Edusei lange selbst nicht geahnt, dass er eines Tages die Dirigentenlaufbahn einschlagen würde. Als Jugendlicher interessierte er sich – trotz Klavierausbildung – nur für das Schlagzeug. „Jeder will doch in diesem Alter Rockmusiker werden!“ Doch dann stieg er ins Orchester ein: „Mit 14 wurde ich Pauker im Jugendorchester in Ostwestfalen-Lippe. Ich war fasziniert von der Person vorne am Pult, die alles bündelte, aufnahm und wieder weiterleitete. Doch ich kannte niemanden, der mir dies beibringen konnte.“ Um sich abzusichern, absolvierte er in Berlin und in Den Haag ein Tonmeisterstudium und ließ sich als klassischer Schlagzeuger ausbilden – und er schrieb sich in die Dirigierklasse von Jac van Steen ein. „Ich sah ihn und wusste sofort: Das ist es! Doch Jac meinte nur, dass sich diese Euphorie wieder legen würde.“ Indes, die Euphorie legte sich nicht: „Zwei Wochen nach dem Diplom habe ich die Aufnahmeprüfung fürs Dirigierstudium gemacht.“

Verbunden mit den Menschen: Edusei sieht die Symphoniker als einen Teil der Stadt

Eine seiner wichtigsten Lektionen erhielt Edusei allerdings nicht an der Hochschule, sondern von David Zinman. „Er bat das Orchester, mit dem ich damals probte, ohne mich zu spielen. Dummerweise klang das viel, viel besser als mit mir!“ Damals habe er verstanden, dass nicht der Dirigent „den Klang produziert, sondern das Ensemble“ – trotz aller Macht, die Dirigenten zugeschrieben wird. Und so bedeute dirigieren für ihn bis heute, immer wieder neu anzufangen: „Zunächst versuche ich ein Werk aus verschiedenen Perspektiven zu sehen, lese viel Sekundärliteratur, Literatur der Zeit.“ Irgendwann müsse man dann an das Werk „ran“ – nicht nur ein intellektueller Prozess, sondern auch ein emotionaler, bei dem es gelte, „die intendierte Emotion des Komponisten“ herauszufinden. Die eigenen Emotionen könnten dabei wohl hilfreich sein, doch gebe es Grenzen: „Sehe ich Dinge im Werk, weil sie in mir begründet sind? Oder sind das Dinge, von denen ich behaupte, dass der Komponist das so gemeint haben muss? Wir dürfen nie die Distanz zu dem Werk verlieren, wir haben eine vermittelnde, übersetzende Rolle.“

Entsprechend sieht Edusei denn auch seine Rolle als neuer Chefdirigent der Münchner Symphoniker. „Ich wünsche mir, dass sich die Leute direkt mit uns identifizieren können. Wir bedienen nicht die Star- Hochglanzschublade, sondern sind Teil dieser Stadt und wollen für alle da sein. Für den Metzger, den Feuerwehrmann, den Brezelbäcker, den Bauarbeiter oder die Gemüsefrau am Viktualienmarkt.“ Was dann wieder ganz nach Obama klingt …

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