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Interview Martin Helmchen

„Der christliche Glaube ist mir eine starke Inspiration“

Der Pianist Martin Helmchen erzählt von seinem Weg auf die großen Bühnen der Welt, von Vaterzeit und dem höheren Ziel der Musik

vonFriederike Holm,

Mit 19 gewann er einen internationalen Klavierwettbewerb, mit 25 spielte er seine erste CD ein – und vor kurzem ist Martin Helmchen Vater geworden. Im Leben des Pianisten scheint alles glatt zu laufen. Wir treffen uns am Tag nach einem Konzert, bei dem er mit Prokofjews zweitem Klavierkonzert brillierte. Meistens wird der junge Lockenkopf für Mozart, Beethoven und Schumann eingeladen, doch auch der russische Kraftakt gelingt ihm – und das, obwohl der Komponist hier unbedingt eines der schwersten Werke des Repertoires schreiben wollte: „Manchmal ist es wirklich unnötig schwer“, findet Martin Helmchen.

Ein Startschuss zu Beginn: Hat mit Ihrem Erfolg beim Clara Haskil Wettbewerb im sagenhaften Alter von 19 Jahren alles angefangen?

Ja und nein. Mit so einem Wettbewerbsgewinn setzt sich natürlich schon viel in Bewegung, aber das war nicht so ein „Über-Nacht-Effekt“, es hat sich nicht alles auf einen Schlag verändert. Und der Clara Haskil Wettbewerb ist auch nicht so bekannt, dass durch den Preis auf einmal Agenturen, Plattenlabels und Konzertveranstalter bei einem Schlange stehen. Danach kamen die Erfolge so nach und nach – und im Rückblick bin ich sehr froh, dass es so eine stetige Entwicklung war und nicht alles mit einem Knall angefangen hat.

Was waren andere wichtige Momente auf Ihrem Weg?

Das waren schon auch andere Preise wie der Credit Suisse Award und Förderungen wie von der BBC oder dem Borletti Buitoni Trust. Aber vor allem waren es Begegnungen, die mich weitergebracht haben: etwa die Zusammenarbeit mit Heinrich Schiff oder Boris Pergamenschikow. Von ihnen habe ich nicht nur in musikalischer Hinsicht sehr viel gelernt. Das waren alles Ereignisse und Zusammentreffen, die sich zur richtigen Zeit ereignet haben.

… und so für eine gradlinige, geradezu bilderbuchmäßige Karriere gesorgt haben.

Ja, das stimmt (lacht). Wenn ich nach Krisen oder Zweifeln gefragt werde, habe ich wirklich gar nichts zu erzählen. Ich hatte auch als Jugendlicher nie das Gefühl, dass ich eigentlich gerne etwas anderes machen würde. Auch später hatte ich das nicht … ja, sehr gradlinig, fast ein bisschen langweilig. (lacht)

Angst, dass die Krise noch kommen könnte?

Die hatte ich mal, aber inzwischen nicht mehr. Ich würde aber gerne mal eine Auszeit nehmen, nicht nur ein paar Monate, sondern für ein bis zwei Jahre. Um Zeit für Familie und andere Dinge zu haben. Vielleicht mal Jazz spielen, Orgel lernen oder mich mit Theologie mehr auseinandersetzen, was auch ein wichtiges Thema für mich ist. Aber das wäre eben nicht wegen einer „Krise“, sondern eine selbst verordnete Pause.

Haben Sie denn momentan das Gefühl, dass manche Dinge zu kurz kommen?

Ja, das habe ich immer. Wenn man so viel unterwegs ist, dann kommt schon alleine die Zeit, die man mal in den eigenen vier Wänden verbringt, zu kurz. Die Balance zwischen Familie und Beruf zu finden, lernen wir gerade. Unsere Tochter ist drei Monate alt und meine Frau ist ja auch Musikerin (die Cellistin Marie-Elisabeth Hecker, Anm. d. Red.). Die Zeit zwischen organisatorischen Aufgaben auf der einen und dem Üben auf der anderen Seite aufzuteilen, ist schon eine riesige Herausforderung. Meine Frau und ich versuchen immer, uns ein bis zwei Monate im Jahr ganz von Konzerten freizuhalten.

Hinzu kommt ja noch, dass Sie sich auf zwei, drei Jahre im Voraus festlegen müssen. Das macht die Familienplanung natürlich schwierig …

Ja, ich muss jetzt wissen, worauf ich im März 2017 Lust habe und ob ich zwischen dem einen und dem anderen Projekt noch einen Tag Pause zu Hause brauche oder nicht. Und jetzt müssen wir nicht nur für uns, sondern auch für ein Kind alles lange im Voraus planen. Was da in zwei Jahren sein wird, das kann man sich eigentlich gar nicht ausdenken. Aber wir haben uns zum Beispiel vorgenommen, dass wir auch für Konzerte in den USA oder Asien nie länger als zwölf oder vierzehn Tage am Stück unterwegs sein wollen. Aber im Grunde muss man das auf sich zukommen lassen – und notfalls mal ein Konzert absagen. Das habe ich etwa am Tag der Geburt gemacht – was leider auf wenig Verständnis gestoßen ist.

Wie gehen Sie mit solchen Reaktionen und Erwartungen um, die an Sie gestellt werden?

Ich glaube, da kommt es mir zugute, dass es eben nicht den großen Hype am Anfang meiner Karriere gegeben hat und ich mich auch lange wenig um PR-Arbeit gekümmert habe. Ich hatte auch kein groß beachtetes CD-Debüt, und insofern habe ich nie einen besonderen Erwartungsdruck empfunden. Und daraus hat sich nicht nur in künstlerischen Fragen eine gewisse Souveränität entwickelt. Ich konnte glücklicherweise immer meinen eigenen Weg verfolgen, ich habe gelernt, Nein zu sagen.

Das klingt so, als hätten Sie schon eine ziemlich konkrete Vorstellung vom Pianistenleben gehabt, bevor alles so richtig losging. Entspricht es auch tatsächlich dem, wie Sie es sich ausgemalt haben?

Ja. Auch das: eigentlich langweilig. (lacht) Ich konnte mich Stück für Stück daran gewöhnen und habe immer mehr dazugelernt, wie das alles so funktioniert: Engagements, Reiseplanung, genug Zeit fürs Üben haben … Ich hatte das Glück, dass ich von anderen Musikern immer den richtigen Rat zur richtigen Zeit bekommen habe.

Gab es da auch einen Rat, wie Sie zur Arbeit einen guten Ausgleich schaffen?

Das fiel mir eigentlich nie so schwer, weil ich immer auch andere Interessen hatte – und Freunde, die etwas anderes als Musik gemacht haben. Insofern habe ich mich immer auch mit anderen Themen beschäftigt. Ich glaube, es gab nie die Gefahr, dass ich in so einer „Musikblase“ leben würde.

Aus so einer „Blase“ heraus ist es sicherlich auch schwierig, überhaupt etwas zu finden, was man mit Musik ausdrücken will. Was ist diesbezüglich für Sie der wichtigste Input?

Das ist definitiv die schon erwähnte Theologie, der christliche Glaube. Das ist mir persönlich auch tatsächlich noch wichtiger als die Musik. Und gleichzeitig ist es auch eine ganz starke Inspiration.

Wie findet konkret Ihre Auseinandersetzung damit statt?

Die findet vor allem im Gemeindeleben statt. Ich bin in einer freien Gemeinde in Berlin, die vor allem aus jüngeren und eher intellektuellen Mitgliedern besteht. Und darüber hinaus so, wie ich mich auch mit Musik und Kunst beschäftige: Ich lese viel, setze mich gedanklich damit auseinander, und der Glaube hat natürlich auch eine praktische Seite. Ähnlich wie es in der Musik die Wissenschaft und die ausübende Praxis gibt. Neben der rationalen Beschäftigung steht für mich die Meditation, kleine Auszeiten.

Wie bekommen Sie das in Ihren Konzertalltag integriert?

Schwierig, dafür bleibt immer zu wenig Zeit. Genau so wie für Familie und Fußball. (lacht) Es klappt mal mehr, mal weniger. So wie sich Prioritäten ja auch immer mal ein wenig verschieben.

Was bedeutet Ihnen die Auseinandersetzung mit dem Glauben?

Das ist für mich ganz zentral. Es geht für mich um die wirklich wichtigen Fragen – mehr noch als in der Musik. Musik ist der schönste und höchste Ausdruck von etwas Unaussprechlichem, aber sie ist eben kein Religionsersatz – so wie das viele meiner Kollegen sagen würden, dass ihnen die Musik Gottesdienst genug ist. Religion wird für mich auch in einer Ethik konkret, was Musik nicht tut und auch nicht will. Und ich muss jemanden haben, dem ich danken kann. Mir reicht das Konzerterlebnis nicht, wo ich vielleicht die Berührung mit etwas Transzendentem gespürt habe – da fängt für mich die Suche erst an.

Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen den Welten Musik und Glaube?

Ich empfinde das gar nicht als getrennt. Musik hat ja zur christlichen Religion immer dazugehört. Wahrscheinlich haben Menschen zu allen Zeiten gespürt, dass Musik das beste Ausdrucksmittel für alles Transzendente ist. Auch das Vokabular ist ja ein ähnliches. Selbst wenn meine nicht gläubigen Kollegen ein Konzerterlebnis beschreiben, kommt es vor, dass Worte wie „Offenbarung“ oder „göttlich“ fallen.

Verbinden Sie mit dem Musizieren ein höheres Ziel?

Durchaus. Ich möchte auf etwas hinweisen, das ich auch versuche, in christlichen Begriffen zu beschreiben. Was andere nicht formulieren, aber vielleicht auch spüren. Es geht um etwas, was einem selbst übergeordnet ist. Dies zu vermitteln, ist für mich das höchste Ziel von Musik.

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