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Interview Karl-Heinz Steffens

„Ich muss mich nicht als Maestro produzieren“

Als Musiker stand Karl-Heinz Steffens bereits ganz oben – dann erfüllte er sich einen Traum und tauschte seine Klarinette gegen den Taktstock

vonKlemens Hippel,

Solo-Klarinettist bei den Berliner Philharmonikern: Für viele ein Traumjob fürs Leben – doch Karl-Heinz Steffens packte 2007 sein Blasinstrument ein und den Taktstock aus und übernahm den Posten als Generalmusikdirektor in Halle. Seit 2009 leitet der gebürtige Rheinland-Pfälzer nun die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz – seinen Wohnsitz hat der Dirigent indes immer noch in Berlin, wo der Barenboim-Schützling auch entspannt zum Interview erscheint. Und sogleich sein Alter zu relativieren weiß: Als Klarinettist, meint Steffens augenzwinkernd, würde er sich langsam dem Ende der Karriere nähern – als Dirigent hingegen sei er „gerade erst aus der Pubertät heraus“.

Herr Steffens, wie kamen Sie zum Dirigieren?

 

Ich wollte immer schon dirigieren. Als ich 15 war, standen mehr Partituren bei mir im Schrank als Klarinettennoten. Aber wenn man in so jungen Jahren mit Persönlichkeiten wie einem Carlos Kleiber spielt, ist man dermaßen beeindruckt, dass man gar nicht auf die Idee kommt, man könnte es wagen, es diesen Männern gleich tun zu wollen. Im Laufe der Jahre wächst dann das eigene Selbstbewusstsein, und die Kubeliks und die Kleibers sterben weg. Dann denkt man irgendwann: Ich möchte mich selber an diesen Stücken messen

 

Als Klarinettist hatten Sie diese Scheu vor den großen Vorbildern nicht?

 

Natürlich hatte ich die! Wenn mir als 18-Jährigem jemand gesagt hätte, ich würde mal Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker als Nachfolger von Karl Leister, dann hätte ich erwidert: Du bist verrückt! Karl Leister war für mich immer ein Vorbild, wegen seines Klangs und der Beherrschung des Instruments. Doch das habe ich später auch stets meinen Studenten gesagt: Ihr dürft euch nicht abschrecken lassen von den Vorbildern, sondern müsst ihnen nacheifern – man darf sich nicht klein machen lassen.

 

Was ist für Sie das Spannende am Dirigieren?

 

Die Leute glauben immer, man würde Dirigent, weil man dominieren und in vorderster Front stehen will. Doch darum geht es mir gar nicht. Ich finde es faszinierend, über eine einzelne Stimme hinaus eine ganze Brahms- oder Mahler- Sinfonie gestalten zu können und diese vielen Fäden zu einem Gewirk zusammenzufügen. Zum Dirigieren gehört nicht nur die Kenntnis der Materie, sondern vor allem künstlerische Erfahrung. Und die gewinnt man erst nach vielen Jahren der Arbeit. Ich bewundere die jungen Kerle, die sich mit 25 vorne hinstellen und Mahlers 9. Sinfonie dirigieren – ich hätte das nicht gekonnt und bin für mich froh, dass ich meinen Weg genommen habe: Weil ich jetzt die Größe und die Bedeutsamkeit der Werke erst langsam verstehe, mit denen man sich auseinandersetzt. 

 

Wie kam es denn eigentlich dazu, dass sie die Seiten gewechselt haben?

 

Für mich war damals klar: Entweder werde ich bei den Berliner Philharmonikern alt oder ich schaffe es noch mal, etwas anderes anzufangen. Und dann ergab sich in Halle diese Gelegenheit einzuspringen, und sie haben mich gefragt. Wobei es durchaus auch Widerstände zu überwinden gab: Wer übernimmt schon als Klarinettist den Job eines Generalmusikdirektors an einer Oper? Das war ein Sprung ins kalte Wasser. Ich wusste, wie man Musik macht und mit einem Orchester arbeitet, aber dieser ganze Wahnsinn im Büro war mir neu: Wenn die anderen in der Pause in die Kantine gehen, geht man selbst ins Büro, und da stehen dann sieben Leute, die ein berechtigtes Anliegen haben. Da muss man erst mal durch, aber es hat auch Spaß gemacht. Und ich hatte diesen Sprung gedanklich längere Zeit vorbereitet – und dann habe ich auch Tabula rasa gemacht und ebenfalls in der Hochschule aufgehört: Den Beruf des Dirigenten kann man nicht mit etwas anderem teilen.

Gehen Sie denn anders ans Werk als „gelernte“ Dirigenten?

Ich habe kürzlich mit dem Philharmonia Orchestra in London gearbeitet, da sagte mir hinterher ein älterer Kollege: „You really know how an orchestra works from inside“. Das ist es vielleicht: Ich muss keine Vorträge halten, ich muss mich nicht als Maestro produzieren – aber ich kann ein Orchester dazu bringen, als Kollektiv gut zu spielen.

 

Kann ein ehemaliger Orchestermusiker die Fehler vermeiden, die ihn früher an Dirigenten immer gestört haben?

 

Es gibt sicherlich Dinge, von denen ich immer dachte: Warum tut der das?! Und jetzt mache ich genau die gleichen Sachen und muss lernen, dass es nicht so einfach ist, ein guter Dirigent zu sein. Mein Respekt vor dem Beruf ist um ein Vielfaches gewachsen. Andererseits weiß ich etwa auch, wie eine Probenarbeit funktionieren kann mit einem guten Orchester und rede nicht um den Brei herum: Ich will niemanden belehren. Denn das Wichtigste im Orchester ist ja, die richtigen Beziehungen herzustellen …

 

… Sie meinen zwischen den Instrumenten …

 

… ja: Der Klarinettist muss auf den Kontrabass hören oder die Bratsche aufs Englischhorn – das muss man richtig rücken. Ich muss nicht reagieren, wenn bei den ersten Geigen etwas beim ersten Versuch nicht perfekt zusammen ist. Ich muss aber wissen, ab wann ich insistieren muss. Das habe ich in meiner Orchestertätigkeit gelernt: Es gibt Dirigenten, die einen Einsatz geben, nach einem Takt abbrechen und dann einen Vortrag halten, was alles schlecht ist – so einer bin ich nicht. Ich glaube, das schätzen die Musiker sehr. Ich habe immer eine sehr gute Resonanz, weil die Musiker Spaß haben, mit mir zu musizieren. Es gibt keine Grenze zwischen „Du da vorne“ und „Wir da hinten“.

 

Dass Sie das „Handwerk“ nie gelernt haben, ist kein Problem?

 

Da bekomme ich von den Orchestern eigentlich immer positive Rückmeldungen. Ich hatte nie Dirigierunterricht, nur ein paar Leute, die mir wesentliche Sachen gesagt haben, wie etwa Daniel Barenboim. Aber ansonsten habe ich 20 Jahre lang permanent Dirigierunterricht vor mir gehabt. Und auch die Opernarbeit in Halle hat mir wahnsinnig geholfen. Das sage ich auch allen Kollegen, die mich fragen: Wie hast du das gemacht? Man muss auch mal ein paar Choreinsätze in den Sand setzen, bis man begreift, was man hätte tun müssen, damit es nicht wackelt. Sie müssen mit dem Orchester lernen.

Und wie lässt sich dann aus einem Orchester mehr herausholen?

Das ist ein Prozess. Sie arbeiten viele Wochen mit einem Orchester und kommen dann immer wieder in die Situation zu sagen: Eure Leistung reicht mir nicht aus. Ihr müsst mehr arbeiten. Ich weiß, Ihr könnt mehr. Seid Ihr denn selbst zufrieden mit Eurer Leistung? Und dann kommt oft die Antwort: Nein. Es geht bei der Arbeit mit einem Orchester um Motivation und Ansporn in einer Arbeitsatmosphäre ohne Angst: Das ist für mich die große Kunst.

 

Dazu müssen Sie aber wissen, was der einzelne bringen kann und wo seine Grenzen sind.

 

Ich glaube, da habe ich den Vorteil, dass ich selber als Solist jahrelang Leistung bringen musste und weiß, was geht, wo die Leute stehen und was sie bringen könnten. Ich weiß aber auch, wie man herangehen muss: Ich muss keinen, der Nerven zeigt, vor offener Mannschaft so lange quälen, bis gar nichts mehr geht. Dann muss man das mal auf sich beruhen lassen und vielleicht das Gespräch nach der Probe suchen. 

 

Sie waren als Klarinettist auf der Karriereleiter bis ganz nach oben geklettert – ein Ziel, das Sie auch als Dirigent anstreben?

 

Als ich bei den Berliner Philharmonikern wegging, dachte ich, ich würde wohl nie mehr an diese Stätten zurückkommen: in die Philharmonie, den Musikverein, die Scala oder die Carnegie Hall. Nun sind sechs Jahre vergangen – und ich bin doch wieder überall gewesen. Natürlich ist es ein Traum, eins der großen Orchester als Chef zu übernehmen, aber wenn man zu viel darüber nachdenkt, wird das sowieso nichts: Man muss das auf sich zukommen lassen. Aber Träume gibt es immer genug.

 

Wenn Sie heute Klarinettenkonzerte dirigieren, was sagt Ihr Herz dann?

 

Gut, dass ich das nicht mehr selber spielen muss! Ich habe jüngst in Helsinki das Nielsen-Konzert erstmals dirigiert – da habe ich immer gedacht: Um Gottes Willen, wenn ich das jetzt spielen müsste, ich hätte Monate üben müssen und so viele Nerven gelassen!

 

Und stattdessen können Sie es nun genießen?

 

Total. Natürlich denkt man auch mal, warum spielt der das jetzt so? Aber da muss man sich auch zurücknehmen, denn das ist die Freiheit des anderen.

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