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Das Publikum des Jahres 2018: Publikumsskandale der Musikgeschichte

Der Skandal im Wandel

Es wirft zwar niemand mehr Mobiliar auf die Bühne, auch werden keine Ohrfeigen mehr während des Konzerts verteilt. Zu handfesten Skandalen, bei denen das Publikum lautstark seine Meinung kundtut, kommt es in der Musikwelt aber auch heute noch.

vonIrem Çatı,

Wien im Jahr 1913: Arnold Schönberg gibt im Musikvereinssaal ein Konzert mit seiner „Kammersymphonie“ sowie Werken seiner Kollegen Webern, Zemlinsky, Berg, Mahler. Doch heftige Reaktionen vom Publikum, die entsetzt über die neuartigen Klänge sind, führen zu einem vorzeitigen Ende des Konzerts. Der Tumult gipfelt in einer Ohrfeige, die der frustrierte Veranstalter Erhard Buschbeck einem Konzertbesucher gegeben haben soll, die später vom mit Schönberg verfeindeten Oscar Strauss „als das Melodiöseste“ bezeichnet wurde, „das man an diesem Abend zu hören bekam“.

Ähnlich erging es im selben Jahr Igor Strawinsky. Mit seinem Ballett „Le sacre du printemps“, das neben der modernen Musik auch noch skurrile Tanzeinlagen samt grausamer Handlung beinhaltete, löste der russische Komponist beim Pariser Publikum einen solchen Ärger aus, dass es sich nicht nur auf Pfiffe und Protestrufe beschränkte, sondern auch Tierstimmen nachahmte.

Kritik an radikalen Operninszenierungen

Heute sind Musikskandale zwar nicht mehr so dramatisch, es gibt sie aber noch. Während das Publikum der Neuen Musik insgesamt offener gegenübersteht und Werken von Künstlern wie Wolfgang Rihm und Helmut Lachenmann in Konzerten deutlich vernehmbare Anerkennung zukommen lässt, setzt es sich heutzutage vermehrt mit Operninszenierungen kritisch auseinander.

Während einige Regisseure mit sexistischen, diskriminierenden und gewalttätigen Szenen gesellschaftliche und ethische Grenzen austesten wollen, dient das Publikum häufig als Kontrollinstanz. Angst vor einem Skandal seitens der Zuschauer scheinen viele aber nicht zu haben.

Publikumsskandale: Gesellschaftskritik vs. Kunstfreiheit

Opernregisseure der Gegenwart wie Peter Konwitschny oder Calixto Bieito, die trotz heftiger Proteste von der Fachpresse für ihre polarisierenden Inszenierungen hochgelobt werden, verteidigen ihre Inszenierungen notfalls auch vor Gericht. So musste Konwitschny durchsetzen, dass seine Interpretation von Emmerich Kálmáns „Die Csárdásfürstin“ als eigenständiges Kunstwerk anerkannt wird, nachdem das Publikum bei der Aufführung so lautstark protestiert hatte, dass die Sänger nicht mehr zu hören waren.

Szenenbild aus "Die Walküre"
Der Bewegungs-Chor in der „Ring“-Inszenierung von Andreas Kriegenburg sorgte im Publikum der Bayerischen Staatsoper für Tumulte © Wilfried Hösl

In seine Inszenierung von Verdis „Der Troubadour“ hat Calixto Bieito 2003 Vergewaltigungen, Masturbation, Leichenschändung und Folterexzesse eingebaut, die die Zuschauer so schockierten, dass viele vorzeitig den Saal verließen. Publikumsgeschmack und Kunstfreiheit lassen sich eben nicht immer in Einklang bringen – und doch bereichert gerade der nicht immer friedliche Diskurs letztendlich die Kunst.

Sehen Sie den Trailer zu Konwitschnys Inszenierung der „Csárdásfürstin“:

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