Startseite » Das Publikum des Jahres » Konservativ, aber auch dankbar

Nominiert zum „Publikum des Jahres 2018“: Staatstheater Wiesbaden

Konservativ, aber auch dankbar

Das Staatstheater Wiesbaden zählt zu den zehn Nominierten für das „Publikum des Jahres 2018“. In Hessen findet eine lebendige Auseinandersetzung zwischen dem Haus und seinen Gästen statt.

vonWolfgang Wagner,

Vom Giebel des Staatstheaters Wiesbaden künden keine geringen Worte vom Geist des Hauses. In goldenen Lettern prangt dort das Schillerzitat: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, bewahret sie!“ Ein Appell an das Publikum und Leitspruch aus den Gründungszeiten des Theaters in der hessischen Landeshauptstadt. Gleich nach zwei Seiten hin wird mit Prunkfassaden zur Begegnung in den Räumlichkeiten eingeladen, die der Kunst geweiht sind. Vom Kurpark aus ist die mit einem von Hermann Volz gestalteten Giebelrelief gezierte Schauseite zu bewundern. Und zu den Theaterkolonnaden am Bowling Green öffnet sich der Haupteingang.

Meinungen in alle Richtungen

Der Einweihung des 1892 bis 1894 nach Plänen von Ferdinand Fellner und Hermann Helmer errichteten Hauses wohnte Kaiser Wilhelm II. persönlich bei, der sich sehr für den Bau engagiert hatte. 1902 ließ er zudem von Felix Genzmer ein prunkvolles Foyer anbauen. Seine Loge konnte der Kaiser über eine eigene Einfahrt durch den Keller erreichen. Man merkt: Das Staatstheater Wiesbaden ist vom Geist der Geschichte durchweht.

Foyer des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Foyer des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden © Sven Helge Czichy

Da überrascht es nicht, dass Intendant Uwe Eric Laufenberg sein Publikum als ein konservatives einschätzt, das sich sehr mit dem schönen, historischen Bau identifiziere und zu heftigen Reaktionen neige. Es kommt vor, dass sich jemand nach einer Vorstellung ernsthaft die Zeit nimmt, um dem Herrn des Hauses beispielsweise mitzuteilen, er sei seiner Meinung nach „das zurzeit größte Arschloch in Wiesbaden“. Aber wie das so ist mit extremen Meinungen, gibt es natürlich auch etliche, die dem entgegenstehen. Nach einer Premiere von Janáčeks „Jenufa“ in der Neuinszenierung durch Ingo Kerkhof am 29. November 2018 schrieb ein begeisterter Gast an Laufenberg: „Seit Sie hier sind, ist jeder Abend in unserem Theater ein großes Ereignis.“

Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden © Lena Obst

„Wir nehmen uns alle Freiräume“

Bei der Programmplanung lässt sich Laufenberg jedenfalls nicht einschränken. „Wir nehmen uns alle Freiräume, spielen aber auch die Stücke, die das Publikum unbedingt sehen will.“ Werke, die weniger Publikum anziehen als etwa „Die Zauberflöte“, würden von einem Kreis wirklich interessierter Zuschauer sehr gewürdigt: „Die dabei sind, sind begeistert und spenden stürmischen Applaus.“ So hat das Haus den Rückhalt, auch mal Brittens „Peter Grimes“ zu geben. Tatsächlich hob eine Kritik des Wiesbadener Kuriers die dankbaren Publikumsreaktionen bei der Premiere am 4. Februar 2017 hervor.

Bei der letzten Wiesbaden Biennale, die im Spätsommer 2018 unter dem Motto „Bad News“ stattfand, wurde das neobarocke Foyer in eine voll funktionsfähige Rewe-Filiale umgewandelt. Die Wiesbadener Kulturgemeinde reagierte verhalten bis entsetzt, der Konsum lief gut. Wer sich vor Ort allzu desillusioniert umsah, bekam ein Eis ausgegeben. Das Haupthaus hatte man parallel dazu in ein Autokino umgewandelt, dessen Bühne über eine wenig ästhetische, ziemlich große Holzrampe tatsächlich befahrbar war. Manche irritierte auch, dass im Studio des Staatstheaters ein Pornokino eingerichtet wurde.

Wiesbaden Biennale 2018: "REWE – Dein Markt". Aufbau einer REWE-Filiale im Hessischen Staatstheater Wiesbaden
Wiesbaden Biennale 2018: "REWE – Dein Markt". Aufbau einer REWE-Filiale im Hessischen Staatstheater Wiesbaden
Wiesbaden Biennale 2018: „REWE – Dein Markt“. Aufbau einer REWE-Filiale im Hessischen Staatstheater Wiesbaden © Jeva Griskjane

Das Staatstheater Wiesbaden und sein eigenwilliges Publikum

Den ganz großen Skandal brachte aber eine goldene Statue des türkischen Präsidenten Erdoğan, die im Rahmen der Biennale auf dem Platz der Deutschen Einheit aufgestellt wurde. Mit dieser Aktion, die manche für eine Gefährdung der deutsch-türkischen Beziehung hielten, schafften es die Kuratoren Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer in die internationale Berichterstattung. Das als verschlafen geltende Wiesbaden weckten sie aus seinem Dornröschenschlaf zu einer Debatte über Sinn und Funktion von Kunst.

Die Nominierung zum „Publikum des Jahres 2018“ bildet ab, dass das Hessische Staatstheater Wiesbaden ein aufgewecktes Publikum hat, welches Intendant Laufenberg als eigenwillig charakterisiert. Auf die Frage, was seinem Haus die Aussicht auf den Preis bedeute, antwortet er: „Theaterzuschauer würden ermutigt, sich selbst treu zu bleiben und trotzdem mit dem Gang ins Theater ein Abenteuer einzugehen. Der Ausgang ist offen…“ Und das muss er auch sein, wenn am Hause in Schillers Sinn bei jeder Vorstellung erneut die Würde der Menschheit in all ihren Facetten beleuchtet wird.

Sehen Sie hier den Trailer zu Verdis „Rigoletto“, der in einer Neuinszenierung von Uwe Eric Laufenberg am 19.1.2019 Premiere hatte:

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Auch interessant

Rezensionen

  • „Lebe im Hier und Jetzt!“
    Interview Joyce DiDonato

    „Lebe im Hier und Jetzt!“

    Joyce DiDonato reflektiert über die Kraft der Musik, ihre künstlerische Mission und den Mut, trotz globaler Krisen weiterzumachen.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!