„Ein Dutzend Zuschauer nach Aufführung beim Arzt“, „Intendant blamiert sich“, „Nazi-Skandal“. So lauteten nur einige der Schlagzeilen, die nach der „Tannhäuser“-Premiere an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf in den Medien kursierten. Nur vier Tage nach der Premiere am 4. Mai 2013, wurde Wagners „Tannhäuser“ in der Inszenierung von Burkhard C. Kosminski von Intendant Christoph Meyer abgesetzt und nur noch konzertant aufgeführt.
Meyer rechtfertigte seine Entscheidung damit, er müsse „die menschliche Gesundheit über die künstlerische Freiheit stellen.“ Zensur oder künstlerische Freiheit? Hat der Intendant voreilig gehandelt, um sich weiterer Kritik zu entziehen? Und weshalb kam es überhaupt zu dieser Eskalation?
Der Venusberg als Ort der Nazi-Verbrechen
Kosminski hatte die Oper in die Zeit des Nationalsozialismus verlegt, was am Premierenabend zu starken Protesten bei weiten Teilen des Publikums geführt hatte. Bereits während der Aufführung hagelte es Buhrufe und Zuschauer verließen aufgebracht den Saal. Einige von ihnen klagten hinterher gar über psychische sowie physische Probleme. Ausgelöst wurden diese wohl vor allem durch eine drastische Erschießungsszene, bei der eine ganze Familie in realistischer Darstellung von Nazi-Schergen und einem Tannhäuser mit Hakenkreuzbinde erschossen wird.

Doch die Aufführung hatte noch weiteren Zündstoff zu bieten: Bereits zur Ouvertüre gab es eine Gaskammer-Szene, in der nackte, in Glaskästen eingesperrte Statisten zu Boden sanken, während sich diese langsam mit Nebel füllten. Den Venusberg, der bei Wagner ein Ort der hedonistischen Liebe ist, deutete Kosminski zum Ort der Nazi-Verbrechen um.
Kosminski polarisiert
Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, betrachtete die Absetzung als überzogene Reaktion. Und unter Zensur würde er den Fall sowieso nicht fassen, weil Zensur eine staatliche Maßnahme sei, nicht aber die Entscheidung eines Opernhauses. „Wenn man der Meinung ist, eine Inszenierung so nicht rauslassen zu wollen, dann diskutiert man das im Vorfeld.“ Dass Kunst auch polarisiert, ist nichts Neues. Leider wird es viel zu oft als Totschlagargument benutzt, das keine weiteren Erklärungen zulässt.

Bemerkenswerterweise wurde eine Absetzung nie offiziell verlangt, weder von der Öffentlichkeit noch von der jüdischen Gemeinde, die die Inszenierung jedoch äußerst „geschmacklos“ fand und Wagners Antisemitismus deutlich herausstellte. Lediglich der österreichische Opernsänger Bernd Weikl erstattete nach der Premiere Strafanzeige beim Generalstaatsanwalt wegen Verletzung des Bildungsauftrags. Diese wurde jedoch als unbegründet zurückgewiesen. Die Frage, ob derart drastische sowie realistisch wirkende Gewaltszenen wirklich auf die Opernbühne gehören – zumal noch staatlich finanziert – bleibt offen.
Weitere Skandal-Inszenierungen
Anders war es beispielsweise 2010: Zuschauer revoltierten mehrere Abende lang im Düsseldorfer Schauspielhaus bei einer drastischen Inszenierung des Stücks „Rechnitz“ von Elfriede Jelinek, das von einem SS-Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern nach einem Nazi-Gefolgschaftsfest handelt. Allerdings gelang es dem Schauspielhaus, die Gemüter nach und nach zu beruhigen, und zwar mit Einführungen und langen Podiumsdiskussionen. Darüber sprechen, das hätte sich sicher nicht nur Kosminski gewünscht, sondern auch die vielen Menschen, die sich kein eigenes Bild mehr von der Inszenierung machen konnten.
Der „Tannhäuser“-Skandal in Düsseldorf:

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