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FESTIVALGUIDE Aldeburgh Festival 2015

Auf nach Great Britten!

Wetter und Küche zum Trotz: Das Aldeburgh Festival lockt mit einmaligen Einblicken in das Leben des englischen Komponisten – und bricht eine Lanze für die Moderne

vonChristoph Forsthoff,

Unaufhörlich rollen die Wellen auf den Kieselstrand vor Aldeburgh, brechen sich die Kämme der grünlich-braun schimmernden Nordseefluten, über denen sich der Blick in der Weite des grauen Himmels verliert. Ein paar Möwen kreischen laut, doch ansonsten ist es der Wind, der an der Küste von Suffolk den Ton angibt. Benjamin Britten hat ihn geliebt, den rauen Genossen, der hier sein unablässiges Spiel mit der See, den Wolken und der Landschaft treibt, hat sein Heulen wie auch das Rollen der Brandung einkomponiert in sein wohl berühmtestes Werk: die Fischer-Tragödie Peter Grimes

150 000 Britten-Fans pilgern alljährlich in das Küstendorf

 

Als Britten nach dem Zweiten Weltkrieg aus den USA ins heimatliche Cornwall zurückkehrte, zog es den Schöngeist an eben diesen steinigen Strand, wo er sich in Crag House niederließ. Er liebte das Meer – und wohl auch dieses „armselige, trübe Küstendorf“, wie Virginia Woolf Aldeburgh nannte, denn sonst wären der Komponist und sein Lebensgefährte Peter Pears wohl kaum auf die Idee gekommen, ausgerechnet hier ein Festival zu initiieren. Zur Premiere im Juni 1948 wurde Brittens Kantate Saint Nicolas in der Pfarrkirche uraufgeführt, im Kino erklang Schumanns Klavierkonzert, und während der Pausen ging das Publikum an den Strand – wohin auch sonst in einem Städtchen, das aus nur drei langen Straßen besteht?

 

Sieben Jahrzehnte später gibt es hier immer noch lediglich ein paar Shops und Pubs, und von einem wirklichen Seebad liegt das verschlafene Nest nach wie vor nicht nur mindestens einen Sandstrand weit entfernt. Und doch ist Aldeburgh zum Mekka der Great Britten-Fans geworden, lockt das Festival in den zwei Juni-Wochen alljährlich weit mehr als 20 000 Menschen, und übers Jahr pilgern 150 000 Besucher zu Konzerten, Kursen und jenen Stätten, an denen der Meister einst lebte und arbeitete. Wobei anders als in Bayreuth hier nicht allein der Local Hero gefeiert, sondern eine Lanze für die (englische) Gegenwartsmusik gebrochen wird: ein Festival für Brittens Erbe und Erben.

 

Eben letztere haben 2009 auch einen Mann als künstlerischen Leiter hierher geführt, der freimütig bekennt, dass die Werke des Festival-Gründers „nicht die Musik meines Lebens ist“: Pierre-Laurent Aimard. Ja, selbst die englische Küche und das englische Wetter haben ihn seinerzeit nur einen Moment lang nachdenken lassen, erzählt der französische Pianist schmunzelnd – „dieses Festival bietet einfach ein unglaubliches Potenzial: Programmatisch mit Musik vom Mittelalter bis heute, Lied und Kammermusik ebenso wie Oper und sinfonische Konzerte, dazu musikalische Spaziergänge, Filme und Konferenzen – solch eine Vielfalt gibt es sehr selten“. Und das auf hohem Niveau: Ob der diesjährige „Artist in Residence“ George Benjamin, der als Komponist auch international gefeiert wird, Künstler und Ensembles wie Andreas Scholl und das Mahler Chamber Orchestra oder auch Aimards ganz persönliche Dramaturgie zum 90. Geburtstag Pierre Boulez‘ – klug führt der Franzose die Ursprungs-Idee des Festivals fort, Zeitgenössischem eine Bühne zu bieten und gleichzeitig einen programmatischen Blick in die Zukunft zu wagen.

 

Mit Sitzkissen zum Konzert in die ehemalige Bierbrauerei 

 

Dass die großen Veranstaltungen dabei in einem der akustisch wohl besten Konzertsäle Europas stattfinden, überrascht beim Anblick der einstigen Bierbrauerei Snape Maltings am Ufer der Alde, die sich hier ihren Weg durch Sümpfe und Schilf bahnt: Unverputzte rohe Backsteinwände, ein offener Dachstuhl, Lüftungsschächte, die weithin in den Himmel ragen – und hier sollen Spitzenorchester aufspielen? Britten war Anfang der 60er Jahre ob des Erfolgs des Festivals auf der Suche nach einem neuen, größeren Konzertsaal gewesen, als er auf das imposante Gebäude der pleite gegangenen Mälzerei stieß – und für den Umbau neben dem Architekten des Opernhauses von Sydney auch einen Akustikingenieur mit ins Boot holte. Dessen Rat ist bis heute nicht nur hör- sondern auch spürbar: Bestand er doch auf eine eher unbequemen Holzbestuhlung. Festival-Stammgäste sind denn in Snape auch unzweifelhaft auszumachen – am eigenen mitgebrachten Sitzkissen.

Die Festivaldaten im Überblick:

 

Zeitraum: 12.06. – 28.06.2015

Ort: Aldeburgh, Blythburgh, Snape u. a.

Künstler: Andreas Scholl, Quatuor Mosaïques, Quatuor Diotima, Mahler Chamber Orchestra, Monteverdi Choir u. a.

 

Weitere Infos erhalten Sie hier.

Was es im Bereich Festival noch zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.

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