Gemeinhin verirrt sich hierher niemand, um klassischer Musik zu lauschen: Dient doch das von grünen Bäumen umrundete Gebäude unter der Rodenkirchener Brücke bei Köln als Lagerstätte für mobile Hochwasserschutzelemente. Doch das alljährliche Mai-Festival „Acht Brücken“ pflegt eben nicht nur programmatisch einen etwas anderen Blick, und so sitzt das Publikum nun hier im elegant geschwungenen grauen Betonbau auf einfachen Stühlen und folgt Henzes politisch aufgeladener Kammeroper El Cimarrón.
Spaciges Ambiente, aber eine erstaunlich gute Akustik
Und mag das Ambiente auch ein wenig spacig wirken, die Akustik in dieser Lagerhalle ist erstaunlich gut. Was auch für manch andere ungewöhnliche Spielstätte gilt, die sich die Festival-Macher Jahr für Jahr neu erobern. Ebenso werden aber für Jazz und Popmusik etablierte Orte wie Stadtgarten und Tanzbrunnen einbezogen – und zentraler Konzertsaal bleibt natürlich die Kölner Philharmonie, finden doch größere Ensembles nur hier genügend Platz.
Dennoch: Die Idee ist und bleibt, zeitgenössische Musik von der Philharmonie in alle Ecken der Stadt zu bringen. Und da die Moderne nach wie vor keineswegs allerorts auf offene Ohren stößt, bemühen sich die Festivalmacher, diese Klänge einem breiten Publikum möglichst spannend zu servieren: sei es nun mit begleitenden Filmen, Videoinstallationen oder öffentlichen Proben, mit Workshops und Angeboten für Kinder. Oder auch der vor allem bei jungen Leuten beliebten abendlichen Lounge, wo man bei entspannter Musik den Tag ausklingen lassen kann.
„Musik und Glaube“ lautet das Festivalmotto für 2016
Natürlich finden sich im Festivalnamen „Acht Brücken“ die Zahl der Rheinübergänge bei Köln wieder. Doch zugleich sehen sich die Veranstalter auch selbst als Brückenbauer, möchten Brücken zur Neuen Musik bauen, den Menschen die Ohren öffnen und den Weg zu bedeutenden Persönlichkeiten der Moderne ebnen. Wofür jedes Jahr ein anderer Komponist ins Zentrum rückt, was dem Festival den Charakter kleiner Retrospektiven verleiht. So kreiste zur Premiere 2011 alles um „Pierre Boulez – Frankreich und die Moderne“, der jüngst verstorbene Altmeister kam sogar persönlich nach Köln und dirigierte auf seine unnachahmlich nüchterne und präzise Art das Eröffnungskonzert; 2016 geht es nun um die spirituelle russische Komponistin Galina Ustwolskaja sowie das Motto „Musik und Glaube“.
Die künstlerische Gesamtleitung liegt beim Intendanten der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort, daneben sind der WDR und die Stadt Köln maßgeblich an der Finanzierung und Planung des Festivals beteiligt. Und so klinken sich neben internationalen Gästen wie den Pariser Moderne-Spezialisten des „Ensemble Intercontemporain“ auch die großen Klangkörper der Stadt in die Veranstaltung ein, also das WDR Sinfonieorchester und das Gürzenich-Orchester – natürlich mit passenden Programmen.
Gemeinsam wird so binnen zehn Festivaltagen ein zwar kompaktes, doch mit über 50 Veranstaltungen attraktives Gesamtpaket gestemmt. Das nicht zuletzt dank der freien Musikszene immer wieder Überraschungen und Entdeckungen bietet, und zwar keineswegs nur in der fantasievollen „Eröffnungsnacht“: Mal rattert und dampft da in einer Performance ein alter Otto-Motor im Innenhof von „raum13 – Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“, mal wird eine elektronisch verstärkte Violine aus vier Boxen zur Raummusik. Und als das junge Ensemble „hand werk“ 2014 Sergej Maingardts Soundquartett SMOG mit weißen Hemden, schwarzen Krawatten und Roboter-Bewegungen inszenierte, erinnerte das sogar ein wenig an die deutsche Kultband Kraftwerk. Neue Musik kann eben auch Spaß machen.
Die Festivaldaten im Überblick:
Zeitraum: 30.04.-10.05.2016
Ort: Köln
Künstler: Alisa Weilerstein, Olga Scheps, Ensemble intercontemporain, Gürzenich-Orchester Köln, WDR Sinfonieorchester Köln, Bruno Mantovani, Matthias Pintscher,
Markus Stenz u. a.
Was es im Bereich Festival noch zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.