Der Hirsch-Index gibt in Teilen der naturwissenschaftlichen Forschungswelt an, wie oft die Publikation eines Wissenschaftlers in Fachkreisen zitiert wurde. Überträgt man das Konzept auf die Klassik, dürfte Johann Sebastian Bach eine stattlich hohe Kennzahl aufweisen, bezogen sich doch zahlreiche Komponisten in ihren geistlichen Werken auf die Musik des Thomaskantors. Eine gute Gelegenheit zum Erleben meisterlicher Kirchenmusik sind alljährlich die Bach-Wochen an St. Michaelis Hamburg, bei denen neben Tonschätzen des Namensgebers stets auch chorsinfonische Raritäten erklingen.
In der aktuellen Ausgabe nehmen sich die von Michelkantor Jörg Endebrock geleiteten Musiker Leoš Janáčeks „Glagolitischer Messe“ an. Entgegen gängiger Praxis entschied sich der Komponist nicht für den lateinischen Text der Messe, sondern vertonte die Liturgie in einer eigens dafür erstellten Übersetzung ins Kirchenslawische – jene Sprache, in der die Ostkirchen seit dem Mittelalter ihre Gottesdienste gefeiert hatten. Eine „fröhliche Messe“ sollte es werden, weg von der aus Janáčeks Warte herrschenden Ernsthaftigkeit und Trauer im Repertoire: „Ohne die Düsterkeit der mittelalterlichen Klosterzellen in den Motiven, ohne den Nachhall stets gleicher Imitationsgeleise, ohne den Nachhall des beethovenschen Pathos, ohne Haydns Verspieltheit“, resümierte er in einem Zeitungsfeuilleton nach der Uraufführung 1927. In musikalischer Hinsicht türmen sich in diesem singulären Alterswerk wilde und energiegeladene Klangwelten ebenso auf wie hymnische Chöre, lyrische Gesangssoli und moderne Orchesterpassagen. Prominent auch der vorletzte Satz, einem technisch höchst anspruchsvollem, gravitätischen Orgelsolo in der kaum gebräuchlichen Tonart As-Moll, das wie aus dem Nichts an das vorangegangene „Agnus Dei“ anschließt.
Dem Werk des Pantheisten Janáček steht an diesem Abend in Hamburgs barockprächtigem Wahrzeichen der Lobpreis Gottes eines tiefgläubigen Katholiken gegenüber: Anton Bruckners „Te Deum“. Einer Anekdote nach soll es der Jubilar einst als möglichen Türöffner ins Paradies angesehen haben: Würde Gott ihn nach seinen von ihm gegebenen Talenten fragen, so „halte ich ihm die Notenrolle mit meinem Te Deum hin, und er wird mir ein gnädiger Richter sein“.
Bach-Wochen an St. Michaelis ehren ihren Namensgeber
Zur Eröffnung des sechswöchigen Konzertreigens lassen die renommierten Balthasar-Neumann-Ensembles gemeinsam mit Tenor Julian Prégardien Musik Bachs auf solche von Telemann treffen, zum Schluss heben Chor und Orchester St. Michaelis Brahms’ „Deutsches Requiem“ aufs Podest. Dazwischen laden Klangreisen unter anderem in den venezianischen Barock und die deutsche Romantik. In der Krypta sind Bibers „Rosenkranzsonaten“ und Bachs Cellosuiten zu hören, die berühmten „Goldberg-Variationen“ erfüllen indes das oberirdische Schiff der Hauptkirche – als Ohröffner in einer Transkription für die Orgel.