Startseite » Festivals » Back to the roots

Porträt Festival Jazz Baltica

Back to the roots

Nils Landgren zieht mit dem Festival JazzBaltica und einem neuem Programmkonzept an die Ostsee

vonStefan Hentz,

Allgegenwärtig, das wäre so ein Wort. Tausendsassa. Universalgenie. Dazu kommen die beschreibenden: virtuos, strotzend, flexibel. Charmant, freundlich, humorvoll. Nils Landgren ist ein Musiker aus einer anderen Welt. Womit jetzt nicht die schwedische Herkunft des Posaunisten und Gelegenheitssängers, Festivalleiters, Produzenten und Beraters der NDR Bigband gemeint ist. Wo auch immer man hinkommt im Kosmos des europäischen Jazz-Business – Nils Landgren ist schon da. Gewissermaßen schwebt Nils Landgren, schwebt über all den Grenzen und Gräben, die andere, mehr im Irdischen verhaftete Musiker, in ihrer Bewegungsfreiheit einengen.

Man muss wohl übersinnliche Kräfte bemühen, um das Arbeitspensum des mittlerweile 56 Jahre alten Posaunisten zu erklären: Auf mehr als 500 Schallplattenproduktionen aus dem weiten Feld zwischen Pop, Rhythm & Blues und Jazz ist sein Ton zu hören, dieser vielschichtige, weiche Posaunenklang, der plötzlich die Energie bündeln kann und präzise wie ein Laser durch die Takte fräst. Auch nach 30 Jahren auf der Bühne drängt es ihn, die rote Posaune, die zu seinem Markenzeichen geworden ist, singen zu lassen: Unablässig tourt er mit Bigbands und mit seinem Quartett, und wenn gerade kein eigenes Konzert im Terminplan steht, dann lässt er sich gerne zum Einsteigen einladen, was in aller Regel der Musik der so veredelten Bands einen gehörigen Schub verleiht. Einen besonderen Akzent setzte er in den letzten Jahren mit seiner Funk Unit: Die Band reiste nach Kibera, den größten Slum Afrikas im Südwesten der kenianischen Hauptstadt Nairobi, gespendete Musikinstrumente im Gepäck, verteilte diese an interessierte Kinder, spielte, gab Unterricht und Konzerte. Doch auch sonst bleibt Landgren neben seiner Musik nicht untätig, als Berater des künstlerischen Leiters der NDR Bigband schiebt er Projekte mit Weltstars des Jazz an, und nachdem er zuletzt drei Jahre lang die künstlerische Leitung des wichtigsten Jazzfestival Deutschlands inne hatte, führt er nun die JazzBaltica in ein neues Zeitalter und gleichzeitig zu ihren und seinen Wurzeln zurück.

Es gibt kein Festival, mit dem Landgren enger verbunden ist als die JazzBaltica. Schon bei einer der ersten Ausgaben, als das Festival sich noch getreu seiner Ursprungsidee ganz besonders um Musiker aus dem Ostseeraum bemühte, spielte er im JazzBaltica-Ensemble, und als er 1994 mit der Funk-Unit die Konzertscheune auf dem Landgut Salzau rockte, kam seine Karriere so richtig ins Rollen. Schnell wurde Landgren der Deutschen liebster Jazzmusiker, und er genoss es. Mit Freude unterhielt er seine Fans, spielte, moderierte, machte Witzchen und war dabei nie peinlich – ein Rudi Carrell des Jazz. Nun kehrt er zurück. Nachdem das Festival den Ostseeschwerpunkt schon lange entsorgt hatte und im internationalen Überbietungswettbewerb um die teuersten US-Stars an seine Grenzen stieß, vollzieht Landgren mit dem Festival nun eine Kehrtwende: hin zu den Leuten, heraus an den Strand, back to the roots. In einer alten Halle der Evers-Werft im alten Fischerhafen von Niendorf sollen die Festivalgäste wieder auf Entdeckungstour durch den Jazz des baltischen Raums gehen, sollen die Blüten der polnischen Szene erleben, schwedische, dänische, deutsche Musiker, die nach hundert Jahren Jazz allesamt ihre eigenen Visionen der Kunstform entwickelt haben. Und weil man in Niendorf, dem Ferienort, schon bei den Menschen ist, und sie nicht erst heraus aufs Land locken muss, geht die JazzBaltica unter Landgrens Leitung auch schnurstracks auf die Menschen zu und bietet ein reichhaltiges Gratisprogramm auf Bühnen im Hafen und am Strand, das ihnen den Jazz von seiner vitalen Seite näher bringen soll. So wie Landgren als Musiker zu den Brückenschlägern gehört, so soll sich auch die JazzBaltica zeigen: freundlich, einladend und von unangefochtener Klasse.

Auch interessant

Rezensionen

Festivalfenster

Ausblick auf die spannendsten Festivals

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!