Sie haben früher als Journalistin im Kulturbereich gearbeitet. Wann haben Sie sich dazu entschieden, selbst künstlerisch tätig zu werden?
Myriam Van Imschoot: Ich war Journalistin, Dramaturgin, Darstellerin. Aber eigentlich war ich schon immer Künstlerin und würde sagen, dass das, was ich vorher gemacht habe, nicht mehr relevant ist. Seit 2006 arbeite ich an meinen eigenen Werken, und die Zeit davor kommt mir vor, als wäre es eine andere Person.
Sie haben für verschiedene Tanzmagazine gearbeitet. Ist Tanz auch eine Komponente in ihren Arbeiten?
Van Imschoot: Meine Stücke werden oft als sehr körperlich beschrieben. Ich integriere den Körper zwar, setze ihn aber nicht als Instrument ein, sondern mache ihn erfahrbar. Klang ist für mich auch damit verknüpft, wie er aufgeführt wird. Da benutze ich immer eine Klang-Choreografie.
Das Hauptelement in Ihren Stücken ist aber die Stimme. Arbeiten Sie dafür immer mit Künstlern zusammen oder nutzen Sie manchmal auch Ihre eigene Stimme?
Van Imschoot: Es beginnt immer mit meiner eigenen Stimme. Wenn ich die nicht verstehe, kann ich auch nicht mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Die Stimme ist mein Hauptinteresse, aber sie ist auch immer mit Zuhören verbunden, es entsteht also ein Dialog aus Senden und Empfangen.
Sie verwenden viele verschiedene Techniken wie Jodeln oder Schreien. Woher kommen diese unterschiedlichen Einflüsse?
Van Imschoot: Sie haben alle etwas gemeinsam: Es handelt sich hierbei um Techniken, um eine Distanz zu berühren, um etwas in die Ferne zu transportieren. Man schickt seine Stimme sozusagen auf eine Reise. Das mag ich sehr. Diese Techniken verändern auch meine Sichtweise auf Klang. Ich hatte Glück, denn meine Arbeit hat mich mit Menschen zusammengeführt, die vielleicht keine klassische Gesangsausbildung erhalten haben, die aber anderes Wissen besitzen und dadurch unglaubliche Vokalisten sind. Ich bin selbst ausgebildet im Belcanto. Aber als ich meine eigenen Projekte begonnen habe, musste ich das Phänomen Stimme noch einmal komplett neu überdenken.
In „Segen #1“, das am Eröffnungsabend des Festivals MaerzMusik aufgeführt wird, bauen Sie Elemente des Zaghrouta, einer Art „Triller“ unter anderem aus der arabischen Kultur, ein. Was können Sie über das Stück sagen?
Van Imschoot: Die Proben dazu laufen noch in Brüssel. Wir sind insgesamt fünf Performer und sehr aufgeregt, weil wir wieder etwas Neues machen. Vor sieben Jahren haben wir zusammen mit Anissa Rouas und vielen anderen die YouYou Group gegründet. Sie ist auch bei „Segen #1“ dabei und bringt ihre Recherche zur religiösen Segnung mit in das Werk. In erster Linie wollen wir mit diesem Stück aber die Beziehung zwischen Stimme und Raum aufzeigen. Am Anfang herrscht Stille, unterbrochen von unseren Rufen, deren Intervalle immer kleiner werden und dann so weit anschwellen, so dass wir das Publikum förmlich in das Stück hineinsaugen. Es ist ein Werk, das sich von außen nach innen bewegt und immer intensiver wird.
Außerdem bringen Sie „newpolyphonies“ zur Aufführung. Auch hier spielt das Publikum eine wichtige Rolle.
Van Imschoot: Die Recherche zu „newpolyphonies“ bin ich mit dem Vokalensemble HYOID angegangen. Wir wollten wissen, wie unsere Beziehung zu polyfoner Musik ist und wie wir diese erweitern können. Dabei haben wir so viel Material gefunden, dass wir beschlossen haben, daraus nicht nur eine Performance, sondern auch eine Installation zu machen. Die lebt von Aufnahmen der Konzerte, die durch zwanzig verschiedene, sich auf- und abbewegende Lautsprecher zu Gehör gebracht werden. Dadurch entsteht eine Klanglandschaft, durch die sich das Publikum aktiv bewegen kann. Für die Konzertaufführung sind wir zwanzig Darsteller, die auf der Bühne und im Publikum verteilt sind und den Konzertsaal kontinuierlich wie ein Klangfeld benutzen.
Sie haben auch ein Video zu „newpolyphonies“ gedreht. Wie wichtig ist Film in ihren Werken?
Van Imschoot: Die Stimme ist mein Medium, aber ich mache auch Filme. Ich fühle mich in der Sprache der Kamera also zu Hause. In meinen Filmen ist Ton sehr wichtig, viele von ihnen sind Hommagen an Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Auch wenn ich keine Porträts mache, interessiert es mich, wie wir unsere Sinne benutzen, wenn wir etwas gucken und wenn wir etwas hören. Klang und Vision sind sehr nah beieinander. Für den Film „newpolyphonies“ haben wir mit lokalen Künstlern aus Darmstadt zusammengearbeitet. Wir konnten das Stück nicht so aufführen, wie wir wollten, also haben wir den Film gemacht. Und ich liebe es, irgendwo anzukommen und dort mit den Menschen zusammenzuarbeiten und ihnen unsere Techniken beizubringen.
Wie wichtig sind Festivals wie MaerzMusik für Ihr Genre?
Van Imschoot: Sehr wichtig! MaerzMusik ist ein Festival, das wichtige Fragen über unsere Gesellschaft und unsere Zeit stellt und diese mit Musik beantwortet. Ich werde seit mehreren Jahren regelmäßig eingeladen und fühle mich dort sehr heimisch. Ich hoffe, dass Künstler und Zuhörer in Zukunft mehr Risiken eingehen und Neues entdecken wollen, denn das ist es, was ich von Musik erwarte.
concerti-Tipp:
Open Call für „newpolyphonies“ von Myriam Van Imschoot und HYOID
Proben: 19.3.2022, 19.00 Uhr & 20.3.2022, 18.00 Uhr
Generalprobe: 21.3.2022, 18.00 Uhr
Silent Green Kulturquartier
Wenn Sie mitmachen möchten, schicken Sie bis zum 7.3.2022 eine Mail an karen@hiros.be
Hier geht es zum Video-Porträt von Myriam Van Imschoot über die Jodlerin Doreen Kutzke.