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Festival Dark Music Days 2017 in Island

Islands verborgene Energie

Im Land der Vulkane und Geysire steht die Neue Musik hoch im Kurs. Davon zeugt eine lebendige Szene, die mit den Dark Music Days breite Publikumsschichten erreicht

vonMarkus Stäbler,

In der Dunkelheit sind unsre Sinne geschärft. Wir riechen, tasten und – nicht zu vergessen! – hören auch besser und intensiver als bei Tageslicht. Vielleicht haben die isländischen Komponisten deshalb beschlossen, ihr 1980 gegründetes Festival für Neue Musik in die düstere Jahreszeit zu verlegen. Seit über 35 Jahren laden die „Dark Music Days“ ihre Besucher jeweils Ende Januar zu einem drei- bis viertägigen Trip in eine faszinierend fremdartige Welt.

Musikwerdung der
 schroffen Naturgewalt

Schon die Fahrt vom Flughafen in die Hauptstadt Reykjavík vermittelt einen Eindruck vom ganz eigenen, ziemlich rauen Charme der Insel Island. Wer in dieser Jahreszeit nach 17 Uhr anreist, hat den sechs Stunden kurzen Auftritt der Sonne dort schon verpasst – und erlebt eine eigentümliche Stimmung, wenn sich der Nebel wie ein grauer Schleier über die Lavalandschaft legt. Ein schaurig-schönes Schauspiel.

Die schroffen Naturgewalten der Vulkaninsel im Nordatlantik scheinen auch in der Musik des Landes ihre Spuren zu hinterlassen. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls bei der Begegnung mit den Werken von Jón Leifs auf, die bei den „Dark Music Days“ traditionell eine Sonderrolle einnehmen.

Island Nebellandschaft © Rolf_52/shutterstock

Der 1899 geborene und 1968 verstorbene Komponist und Dirigent ist die überragende Vaterfigur der noch ziemlich jungen Musikszene Islands. Er vertont nicht nur alte isländische Sagen, sondern porträtiert in seiner klangmächtigen Orchestersprache auch die Lebenswirklichkeit der Insel: Wenn er etwa Posaunen, Fagotte und Kontrabässe dissonant wummern lässt, offenbart sich eine urwüchsige Kraft, die im Untergrund brodelt und jeden Moment emporschießen kann.

Diese Energie zeichnet viele der Werke aus, die bei den „Dark Music Days“ zu erleben sind. Doch natürlich klingt beileibe nicht alles nach Schwefeldämpfen und Geysiren. Obwohl die Neue-Musik-Szene zahlenmäßig überschaubar ist, deckt sie eine große stilistische Bandbreite ab – von traditionsgeprägten Orchesterwerken über die filigrane Kammermusik bis hin zu frickeligen Computersounds.

Bankenkrise hat das Interesse für die Kultur verstärkt

Die Vielfalt ist auch das Resultat der sehr internationalen Biografien: In einer kleinen Nation wie Island gehört es ganz selbstverständlich zum guten Ton, für längere Zeit im Ausland studiert zu haben. Nahezu alle Musiker und Komponisten haben die weite Welt gesehen und ihr eigenes Tun von außen betrachtet. Dadurch entsteht ein Klima der Offenheit, wie man es in manchen vermeintlichen Musikmetropolen in Mitteleuropa vergeblich sucht. Kjartan Olafsson, der langjährige Leiter des Festivals, hat dieses breite Spektrum mit vielen Uraufführungen abgebildet und zu einer extrem spannenden Adresse gemacht.

Mit rund 3500 Besuchern haben die „Dark Music Days“ unter seiner Ägide etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung Islands angelockt – das wäre bei einem Neue-Musik-Festival in Deutschland undenkbar. Neue Musik wird auf Island sehr ernst genommen. Gerade nach den Folgen der verheerenden Bankenkrise, die das Interesse für die Kultur nicht etwa gemindert, sondern verstärkt hat.

Die Fassade des Konzerthauses „Harpa“ ändert ihr Aussehen je nach Witterung und Blickwinkel © Nic Lehoux

Symbol für diesen Aufbruch und den Glauben an die Musik ist das 2011 eröffnete und traumhaft am Wasser gelegene Konzerthaus „Harpa“ in Reykjavík, seit 2012 auch Heimat der „Dark Music Days“. Ab kommenden Januar wird dort der Komponist Gunnar Karel Másson das Festival leiten und mit spannenden Konzerten Licht ins isländische Dunkel bringen.
Die Festivaldaten im Überblick:
Dark Music Days
Zeitraum: 26.-28.1.2017
Mit: Caput Ensemble, Dans les arbres, Icelandic Symphony Orchestra, Reykjavík Chamber Ensemble, Vox Feminae u. a.
Ort: Reykjavík

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