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Porträt Berliner Klavierfestival

Erweckung einer schlafenden Klavierstadt

Ein britischer Wahlberliner präsentiert in Berlin ein neues, kleines Klavierfestival, mit einer Handvoll erlesener Künstler

vonMatthias Nöther,

Barnaby Weiler ist zurzeit ein wenig nervös. Nachts träumt er manchmal davon, bei den fünf Klavierabenden Ende Mai für einen der Pianisten seiner neuen Konzertreihe einspringen zu müssen. Weiler ist Manager und Leiter des Berliner Klavierfestivals. Obwohl begeisterter Hobby-Musiker, hat Weiler große Zweifel, dass er derjenige wäre, der als Mann am Klavier den hohen Ansprüchen gerecht werden würde, die er mit seinem Festival verbindet.

Das muss Barnaby Weiler vermutlich auch nicht. Er suchte jeden der fünf Pianisten sehr bewusst aus, und er hat volles Vertrauen in sie. Bevor Weiler, gebürtiger Brite, 2006 nach Berlin zog, war er Verkaufsmanager beim Klassik-Label harmonia mundi in London. Daneben baute er aus Begeisterung noch ein eigenes, kleines Label für Klaviermusik auf. Aus dieser Zeit kennt er viele Pianisten. Etliche von ihnen können als Geheimtipp in der internationalen Szene gelten. Die meisten sind keine allbekannten Klassikstars, doch sie sind sämtlich international tätig und konzertieren mit großen Orchestern.

In Berlin springt Barnaby Weiler mit seinem Klavierfestival tatsächlich in eine Lücke der Klassikszene. Berlin sei zwar eine Klavierstadt, so sagt er. Man höre hier etliche der ganz Großen sehr oft. „Aber Leute wie Radu Lupu, Daniel Barenboim oder Grigory Sokolov geben ihre Abende dann meistens in der Philharmonie. Einige dieser Künstler sagen selbst, dass sie in so einem großen Raum oft ganz anders spielen müssen, als sie wollen und als es den Stücken angemessen ist.“

Weiler war vor einiger Zeit mit einem seiner Festival-Pianisten, dem in Berlin lebenden Freddy Kempf, auf der Suche nach einem intimeren Raum. Die Wahl fiel auf den kleinen Saal des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Dort wird vom 26. Mai bis zum 2. Juni die erste Ausgabe des Berliner Klavierfestivals stattfinden. „Uns hat der kleine Rahmen und der warme, runde Klang des Saals überzeugt“, sagt Weiler.

Was an der Auswahl der Pianisten des ersten Berliner Klavierfestivals überrascht, ist die Vielfalt ihrer Schwerpunkte. Da ist die georgische Pianistin Elisso Virsaladze, einst Preisträgerin beim renommierten Tschaikowsky-Wettbewerb. Sie ist eine der letzten lebenden Schülerinnen des legendären russischen Klavierlehrers Heinrich Neuhaus (1888 bis 1964), aus dessen Schule auch ältere, bereits verstorbene Meister wie Svjatoslaw Richter hervorgingen. Mit virtuosen Fantasien von Mozart, Chopin und Schumann, daneben einer Prokofjew-Sonate, gibt sie einen repräsentativen Ausschnitt des in der alten russischen Schule bevorzugten Klavierrepertoires.

Ganz anders der britische Pianist Stephen Hough. Ihm war als Interpret, aber auch als Komponist und sogar als Musik-Blogger in den vergangenen Jahren daran gelegen, das Repertoire des klassischen Pianisten in vielerlei Hinsicht zu erweitern. Hough präsentiert unter anderem eine eigene Sonate, die aus 16 kurzen, ineinander übergehenden Sätzen mit zwei zentralen musikalischen Ideen besteht. Von Beethoven über Liszts h-moll-Sonate und Skrjabins 5. Klaviersonate bis zu seinem Werk geht es Hough in dem Eröffnungskonzert am 26. Mai um Stücke, die die traditionelle Form der Klaviersonate umwarfen. „Ich möchte zeigen, wie Musik die traditionelle dreisätzige Anlage bewusst unterlaufen kann.“ Tatsächlich fand auch schon Liszt in seiner virtuosen h-Moll-Sonate einen Weg, die Abgeschlossenheit der einzelnen Sätze aufzubrechen, die fest geformten Satzcharaktere in einen einzigen Fluss aufzulösen. Skrjabin seinerseits konzentrierte in seiner 5. Sonate die musikalischen Kämpfe, die seit Beethoven in der Sonate auftreten, mit maximaler Energie auf engstem Raum.

In Berlin ist Stephen Hough als Solist längst kein Unbekannter mehr. Zudem spielte er mit zwei Berliner Philharmonikern 2009 ein eigenes ironisches Stück für Klavier, Piccolo-Flöte und Kontrafagott. Hough glaubt, dass es in Zukunft wieder üblich wird, dass Musiker auch als Komponisten in Erscheinung treten. „Dass ein Musiker seine eigene Musik spielt, ist seit den Troubadours des Mittelalters eine völlige Selbstverständlichkeit und wurde nur für zwei Jahrhunderte etwas vergessen.“

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