So etwas hatte sich Ulrich von Maltzahn wohl nicht träumen lassen, als er im Jahre 1560 seine Wasserburg in Ulrichshusen errichtete, mitten in der so malerischen wie unberührten Mecklenburgischen Schweiz: dass sich hier mehr als 400 Jahre später eine der Keimzellen der ländlichen Kultur ansiedeln würde. Aber auch als sich noch vor der Wiedervereinigung im Sommer 1990 einige Enthusiasten aufmachten, um das im kulturellen Dornröschenschlaf liegende Mecklenburg-Vorpommern – was es als Land noch gar nicht gab – nach dem nur fünf Jahre älteren schleswig-holsteinischen Vorbild in ein sommerliches Freiluftmusikspektakel zu verwandeln, war ihnen wohl ebenso wenig klar, dass aus dem zarten Pflänzchen auf kulturell bislang allzu kargem Boden einmal elf Dutzend Veranstaltungen an 92 Spielstätten erwachsen würden.
Ein Festival, nur für die Kunst
Heute gehören die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern zu den bedeutendsten und größten Musikfestivals in Deutschland, die sich in der Saure-Gurken-Zeit der üblichen sommerlichen Konzertsaisonruhe zu einem wichtigen Klassikmarkt entwickelt haben. Festivals gelten überall als beliebter Startpunkt von Karrieren, zumal sich mit Stars von morgen die Etats in Grenzen halten lassen. Nicht zuletzt kommen die Musiker in ungezwungener Atmosphäre direkter mit dem Publikum in Kontakt, und fernab der Galakleid-Schickeria in den großstädtischen Champagnerfoyers gilt es unverfälscht nur der Kunst.
Wo von Maltzahn einst seine Trutzburg errichtete, sicherte sich sein Urahn Helmuth Anfang der 1990er-Jahre das gesamte Familienanwesen, und die berühmt gewordene Konzertscheune galt nach Yehudi Menuhins Konzertweihe 1994 als Symbol ländlicher Konzertidylle, die abseits der metropolitanen Kulturzentren Musik auf höchstem Niveau verspricht, zumal in bester Akustik. Ferienwohnungen entstanden, die Dorfstraße wurde zur Flaniermeile, das Schlossensemble zum Schmuckstück. Im Park schlendert entschleunigt das leichtgewandete Publikum. Aber zum „Bayreuth des Ostens“, wie es der heutige Maltzahn erträumt, wird Ulrichshusen wohl zum Glück nie: Dafür fehlt dem trotz allem bodenständigen 30-Seelen-Dorf der Snobismus.
Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern mit Jahreszeiten-Variationen
Heutzutage finden im Herzen der Festspiele mehr als 20 der insgesamt 130 Konzerte statt, und es wird in diesem Sommer 30. Geburtstag gefeiert. Gleichwohl ist Mecklenburg-Vorpommern ein großes Flächenland und bietet trotz seiner geringen Einwohnerdichte viele kulturhistorisch bedeutendere Konzertstätten. Es kommen auch immer wieder neue Orte dazu, und dass hier die Allerersten ihrer Zunft spielen, spricht für die Authentizität des Festivals ebenso wie für die Neugier eines Publikums, das mehr an der Musik als an der Präsentation seiner Abendgarderobe interessiert ist.
Nicht zuletzt ist es aber wohl vor allem die Umgebung, die die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern – längst auch mit Ablegern im Frühling und Winter – zu einem Gesamtkunstwerk aus Landschaft und Kultur werden lassen, dessen Zauber sich kaum einer entziehen kann, nicht nur in Ulrichshusen.