John Cage, der Mann, der das unerwartete Ereignis zum Kompositionsprinzip erhob, wird unerwartet gefeiert: mit drei Konzertabenden zum 99. Geburtstag. Im Zentrum von „Cage 99“ stehen neben Werken des 1992 verstorbenen Wegbereiters einer neuen Tonkunst auch Stücke seiner musikalischen Weggefährten und Erben.
Von Sebastian Matthias – im letzten Jahr Residenzchoreograf von K3 auf Kampnagel – wird eine Neue Choreographie auf zwei separate Musikensembles von John Cage uraufgeführt. Die ungarische, in Berlin lebende Tänzerin und Choreografin Eszter Salamon hat mit Dance for Nothing auf Cages berühmten Aufsatz Lecture on Nothing eine Perfomance entwickelt, die dem Text einen eigenständigen, autonomen Bewegungsablauf gegenüberstellt. Cage selbst hat mit seinem langjährigen Arbeits- und Lebenspartner, dem Tänzer Merce Cunningham, dieses Prinzip bereits radikal umgesetzt: Cunningham entwickelte Choreografien zu Cages Texten, ohne diese vorher zu kennen, er orientierte sich lediglich an der vorgegebenen Dauer. Die Korrespondenz zwischen vorgetragenem Text und Tanz war somit ein Ergebnis des Zufalls, wie überhaupt der Zufall, das Unerwartete, in Cages künstlerischem Schaffen eine große Rolle spielt.
„Die Zufallsoperationen verhindern, dass ich mich ständig wiederhole, mich in eingefahrenen Bahnen bewege, nach meinen Vorlieben und Abneigungen richte“, sagte Cage in einem Interview. Der Pianist Steffen Schleiermacher, der Cages gesamtes Klavierwerk eingespielt hat, greift zum Abschluss des ersten Konzertabends unter dem Motto „Cage – eine Zufallsbekanntschaft“ dieses Thema mit einem von Zufallsoperationen geleiteten Feldzug durch Cages Klavierwerk auf.
Cage, der sich vom Buddhismus ebenso inspirieren ließ wie von der Mathematik, der sagte, er habe beim Komponieren weder Ideen noch Vorlieben oder Gefühle („Ich mache nur – quasi mechanisch – meine Arbeit“), definierte die Musik nüchtern als „Aufmerksamkeit gegenüber den Tönen“. Somit bestand für ihn zwischen Musik und vorgetragener Poesie kein wesentlicher Unterschied. Dem tragen auch Cages Stücke für Stimme und Klavier Rechnung, die unter der Leitung von Jan Philip Schulze im „Song Cosmos Cage“ erklingen. Dirigent Peter Rundel erkundet zusammen mit dem NDR Sinfonieorchester nicht nur Cage, sondern auch Werke von Varèse, Feldman, Schönberg und James Tenney. Am letzten Abend wird das Landesjugendensemble Neue Musik Schleswig-Holstein eine weitere Uraufführung auf die Bühne bringen: Thoughts about ChAnGEs des 31-jährigen Komponisten Robert Krampe, der vor einem Jahr beim Hamburger Tonali Grand Prix den Kompositionspreis erhielt.
Da ein festgefügter Ablauf dem Anliegen Cages kaum entsprechen würde, werden zum Schluss in einem Überraschungsprogramm ungewöhnliche Werke, Tondokumente und Musikkonzepte des Jubilars vorgestellt. „Wir wollen kein Kunstwerk produzieren“, sagte Cage einmal im Hinblick auf eine seiner Performances, „sondern eine lebendige Situation schaffen – unerwartete Ereignisse, die unter Verabredung eines allgemeinen Gefühls zusammenlaufen.“ Das Programm von „Cage 99“ lässt erahnen, dass Cage auch neun Jahre nach seinem Tod immer noch unerwartete Ereignisse und lebendige Situationen erschaffen kann.