Gott sei Dank gibt’s la Mamma. Kaum die Gabel in die Spaghetti getaucht, landen zwei rote Spritzer auf dem weißen Hemd des Festivalintendanten Francesco Piemontesi. Dabei steht in einer Stunde das Auftaktkonzert der Settimane Musicali di Ascona an … 20 Minuten später ist Signora Piemontesi mit einem frischen Hemd im Ristorante, der Figlio alsbald umgezogen. Und eine Viertelstunde später schlendert der Sohn mit dem Publikum über die Piazza Grande von Locarno, bald durch verträumte Gassen hinauf zur prächtigen, 1583 gebauten Kirche San Francesco – fast noch idyllischer gelegen ist der zweite „Konzertsaal“, die 1585 erbaute Kirche des Collegio Papio in Ascona.
Pianist Piemontesi sorgt als Intendant für frischen Wind
Vor kurzem hat sich Piemontesi zwar in Berlin eine Wohnung gekauft, doch in seinem Geburtsort Locarno fühlt sich der Pianist immer noch heimisch. Und nachdem sich der Intendant als Künstler im Ausland schon länger durchgesetzt hat, reißen sich nun auch die Schweizer Veranstalter um ihn. Da lag es nahe, dass auch die Settimane musicali auf den eigenen „Sohn“ zukamen und ihm die künstlerische Leitung angetragen haben. Eine Wahl, die mit strukturellen Veränderungen bei dem Festival einhergeht. Wobei dies nicht Piemontesis Probleme sind, seine Bedingungen waren klar: Ich kümmere mich ums Programm. Basta. Dafür hat der Settimane-Presidente Dino Invernizzi Sorgen, denn drüben in Lugano eröffnen sie im Herbst einen modernen Konzertsaal, der das Konzertleben im Tessin verändern wird. Bislang waren es nämlich immer die Settimane musicali gewesen, die dem Kanton den musikalischen Ausnahmezustand beschert hatten: Anne-Sophie Mutter, Riccardo Muti, die Bartoli – da kamen selbst die Luganesi an den Lago Maggiore.
Hinzu kommt noch eine weitere Sorge – der Festivalintendant selbst. Gleich in seinem ersten Jahre hatte Piemontesi 2013 ein Programm gewagt, das ausgerichtet war „auf Erneuerung und das Ausloten eher ungewohnter musikalischer Gebiete“. Die Ausgabe 2014 war dann schon nur noch bestimmt von „Erneuerung und Tradition“ – wurde er zurückgepfiffen? Piemontesi lächelt und verneint. Allerdings nicht ohne ein langes Plädoyer für die Moderne zu halten. Ob die Moderne oder vielleicht doch eher die Barockzeit das Settimane-Glück verheißen, muss sich erst noch erweisen: Die 15 Konzerte dieses Festivaljahres sind auf jeden Fall eine Hommage an die großen eidgenössischen Orchester, zudem wird der Schweizer Dirigent Philippe Jordan die Wiener Symphoniker dirigieren.
Stellten in vergangenen Jahrzehnten die Touristen rund die Hälfte der insgesamt 6000 Festival-Besucher, sind inzwischen mehr Tessiner zugegen. „Die Deutschen fehlen“, bedauert Präsident Invernizzi. Einst füllten sie die Kirche fast alleine, Werbung war nicht nötig – nun wird das allgemeine Tourismus-Problem im Tessin auch zum Settimane musicali-Problem. Ein junger Festivalleiter kann da im Grunde nur gut tun: Piemontesi hätte denn am liebsten auch eine Konzentration der Konzerte, damit noch mehr Kenner angezogen würden. Doch da Sommer- wie Herbst-Touristen etwas vom Festival haben sollen, wird die Konzertsaison in die Länge gestreckt. Und so herrscht denn auch vor der Kirche entspannte Ferienstimmung: elegante Deutsche, leger gekleidete Deutschschweizer, adrette Tessiner – allesamt vereint im Genuss eines Glases Tessiner Merlot.
Wer indes nach den Konzerten noch etwas länger auf der Piazza vor der Kirche verweilt, wird bald von der Stille beglückt. Und beim Gang durch den Vicolo Chiossina zurück zum Hotel „Belvedere“ steigt dem Besucher sogar ein himmlischer Traubenduft in die Nase und lässt ihn träumen: vom Tessinzauber vermeintlich vergangener Zeiten.
Die Festivaldaten im Überblick:
Zeitraum: 27.8. – 16.10.2015
Künstler: Janine Jansen, Francesco Piemontesi, Nikolaj Znaider, Murray Perahia, Philippe Jordan, András Schiff u. a.
Ort: Locarno, Ascona u. a.
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