Der Fluss, immer wieder dieser Fluss. Er ist es auf den in Magdeburg alles hinausläuft. Ohne ihn, ohne die Furt durch die Elbe an dieser Stelle, gäbe es die Stadt gar nicht. Gurgelnd strömt das Wasser beim Blick aus den Fenstern tief unten vorbei. Wir sind im Remter, einem herrlich mittelalterlichen Sall, desse Spitzbögen die Decke tragen. Remter ist das deutsche Wort für „Refektorium“ – der Ort, an dem die Mönche zum Essen zusammenkamen.
Gleich nebenan erhebt sich stolz der Dom. Klänge erfüllen den Raum: Duette, Terzette, Suiten, ein Concerto. Sie beruhigen die Seele, öffnen ein Fenster in eine ferne und doch seltsam nahe Empfindungswelt. Es ist Musik von Georg Philip Telemann, der 1681 in Magdeburg zur Welt kam und ganz in der Nähe des Doms zur Schule ging.
Telemann war keine seelenlose Tonmaschine
Seinen Ruhm begründete er anderswo, vor allem als Director Musices in Hamburg. Trotzdem: Magdeburg ist sein Geburtstadt, und seit 1962 rücken hier die Telemann-Festtage sein Werk in den Fokus. Wissenschaftlich, indem die Kompositionen in den Archiven erschlossen werden. Und klanglich, schlicht indem man sie aufführen lässt, und zwar von bekannten Musikern und Experten Alter Musik auf historischen Instrumenten. So arbeitet man in Magdeburg kontinuierlich an einem neuen Blick auf Telemann, der in direkter Nachbarschaft seiner barocken Zeitgenossen Händel und Bach lange als Vielschreiber, als seelenlose Tonmaschine gering geschätzt wurde.
Magdeburg braucht solche Identifikationsfiguren. Hat es die Geschichte mit der Stadt doch nicht besonders gut gemeint: Um 900 war sie unter Kaiseer Otto I. das Zentrum des Reiches gewesen, hätte so etwas wie das deutsche Paris werden können. Mit dem Magdeburger Dom entstand, noch vor Köln, erstmals ein ambitioniertes Bauwerk im französischen Baustil auf deutschem Boden. Ein Dutzend weiterer großer Kirchen prägten das Statdtbild von der Elbe her – es muss ein überwältigender Anblick gewesen sein. Doch Tillys Truppen legten die Herrlichkeit im Dreißigjährigen Krieg in Schutt und Asche, und was im 19. Jahrhundert ernerut aufblühte, ging im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unter.
Heute ist Magdeburg eine von Plattenbauten geprägte Großstadt im strukturschwachen Norden Sachsen-Anhalts – mit weinigen wunderbaren historischen Überbleibseln und überraschenden Ecken in der Innenstadt. Und genau die zu erkunden, dazu bieten die Telemann-Festtage eine großartige Gelegenheit.
Da der Dom selbst für Telemanns Musik zu groß und für die historischen Instrumente im März zu kalt ist, wird im Remter gespielt. Oder, nicht weit entfernt, im Kloster Unser Lieben Frauen, in der Johanniskirche oder im von Schinkel entworfenen Gesellschaftshaus, in dem das Telemann-Zentrum seinen Sitz hat. Dazu im Opernahus, wo jährlich eine von Telemanns Opern neu entdeckt wird. Und 2016 kommt als neuer Spielort der charmante Antoniussaal hinzu, der sich in einem Renaissance-Gebäude verbirgt: So können auswärtige Besucher Musik genießen und dabei die architektonischen Perlen einer oft unterschätzen Stadt erkunden.
Und dank des breiten Spektrums an Spielstätten ist garantiert, dass auch die Magdeburger selbst „ihren“ Telemann immer wieder neu kennenlernen.
Die Festivaldaten im Überblick:
Zeitraum: 11.03.-20.03.2016
Künstler: Daniel Hope, Berliner Barocksolisten, Leipziger Barocksolisten, Hans Christoph Rademann, La Stagione Frankfurt, Stefano Veggetti, Florian Heyerick, NeoBarock, Dorothee Oberlinger, Ensemble 1700 u. a.
Ort: Magdeburg