In Lockenhaus hinter den sieben Bergen, inmitten der Wälder im Burgenland, steht seit dem Jahr 1200 eine imposante Burg. Hier, so erzählt man sich, wütete einst Gräfin Elisabeth Báthory. Im Blut gefolterter Jungfrauen soll sie am liebsten gebadet haben in der Hoffnung auf ewige Jugend und Schönheit. Das war es nicht, was den Geigenvirtuosen Gidon Kremer Anfang der Achtzigerjahre ins 2 000-Seelendorf Lockenhaus verschlug. Hier, am Fuße des Günser Gebirges und nur wenige Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt, suchte der Musiker einen Ort der Kontemplation und Inspiration, fernab vom Musikbetrieb und dem (kapitalistischen) Zwang, Umsätze oder Gewinne zu generieren. Dort war er auch frei von kommunistischer Zensur und Behörden-Gängelei, die der 1947 in Riga geborene Kremer erfahren hatte – trotz des Sonderstatus, den der Sohn eines deutsch-baltischen Musikerehepaars Ende der Siebziger mit der staatlichen Künstleragentur der UdSSR ausgehandelt hatte.
Lust an musikalischen Überraschungen
Ab 1980 lebte er im Westen, sein Drang nach Freiheit aber blieb. In Lockenhaus, am Ende der Welt, wo der nächste Bahnanschluss 42 Kilometer entfernt liegt, entwickelte er mit dem Pfarrer der Nikolaus-Kirche, Josef Herowitsch, ein Kammermusikfestival der besonderen Art. Bis heute reisen die Musiker einmal im Jahr für zehn Tage an mit der Lust, zu jeder Zeit in anderen Besetzungen zu spielen, und der Bereitschaft, auf ihre Gage zu verzichten. Die Programme werden erst kurz vor dem Konzert festgelegt und richten sich an ein Publikum, das Überraschungen mag – ganz nach Kremers Devise, dass Suchen in der Musik wichtiger sei als Finden. Komponisten, die im Westen kaum jemand kannte, wurden hier vorgestellt, wie etwa Sofia Gubaidulina, Arvo Pärt oder Alfred Schnittke. In den letzten Jahren der dreißigjährigen Ära Kremer kam allerdings die Vermutung auf, dass die von Kremer gegründete Kremerata Baltica es bisweilen mit der Spontaneität und Exklusivität nicht mehr so genau nahm und mit fertiggeprobten Programmen anreiste. Für den Cellisten Nicolas Altstaedt, der 2012 die Leitung übernahm, aber bleibt Kremer ein großes Vorbild, dessen „unprätentiöses Wesen“ ihn bis heute fasziniert. 2017 wurde in Lockenhaus die Burgallee in Kremer-Allee umbenannt.
„Sinneserwachen“ heißt es im Jubiläumsjahr 40 mit „Künstlern aus der Anfangszeit und aus meiner Generation“, sagt der 39-Jährige. Gidon Kremer, András Schiff, Ian Bostridge und Heinz Holliger werden erwartet wie auch Julian Rachlin, Olli Mustonen, Patricia Kopatchinskaja, Maximilian Hornung, Alexander Lonquich und andere. Alles will Altstaedt nicht verraten, aber sicher ist: Musik von Pärt und Piazzolla wird erklingen sowie Bartóks Streichquartette – „ein langjähriger Traum von mir“. Und wem nach der Musik nach leiblicher Kost zumute ist, der kehre in die Burgtaverne ein. Dort kann er je nach Stimmung ein „Landsknechtmahl“ mit Grammelschmalz und Schweinekotelett einnehmen oder sich im „Rittermahl“ bei einem Bärenfängerlikör mit den Fingern übers gebratene Jungschwein hermachen – inklusive Wein und Minnesang!
Kammermusikfest Lockenhaus „Sinneserwachen““
8.-17.7.2021
András Schiff, Vilde Frang, Barnabás Kelemen, Nicolas Altstaedt, Gidon Kremer, Heinz Holliger u. a.
Pfarrkirche, Schloss Eszterházy, Ritterburg