Noch immer erzeugt es Strom, das Wasserkraftwerk Heimbach. Nach zwei Jahren Bauzeit ging es als seinerzeit größtes Speicherkraftwerk Europas 1905 ans Netz und versorgte die Stadt Aachen sowie Teile der Eifel. Auch einige Haushalte Kölns erhielten den Strom aus Heimbach. Rund 25 Millionen Kilowattstunden pro Jahr produziert es heute noch, über hundert Jahre später. Die Strahlkraft indes hat sich verlagert: Einst als Symbol des technischen und industriellen Fortschritts gefeiert, wird es heute als architektonisches Jugendstil-Juwel weitläufig geschätzt, das durchaus Ähnlichkeiten zu einem Kirchbau hat. Was gar nicht so abwegig ist, bedenkt man, dass der Bau für eine Woche im Jahr zu einem Kulturtempel wird, in dem aufs Schönste der Kammermusik gehuldigt wird.
1998 fand das Festival mit dem so naheliegenden wie griffigen Titel „Spannungen“ erstmals statt. Gegründet hat es damals Pianist Lars Vogt. Markenzeichen der „Spannungen“ ist vor allem musikalische und interpretorische Exzellenz, ohne im Entferntesten überkandidelt oder gar elfenbeinturmhaft zu sein. Das wäre auch völlig konträr zu Vogts Prinzipien, der nicht nur das anspruchsvolle, sondern gerade auch das junge und unerfahrene Publikum schätzte. So findet in diesem Jahr auch ein Familienkonzert statt, bei dem Kinder unter achtzehn Jahren keinen Eintritt zahlen.
2022 erlag Lars Vogt 51-jährig einem Krebsleiden. Als künstlerischen Leiter der „Spannungen“ hat ihn nun Christian Tetzlaff beerbt, ein langjähriger Kammermusikpartner und Freund Vogts, der schon oft bei den „Spannungen“ zu erleben war. Die diesjährige Ausgabe fächert ein denkbar breites Spektrum der Kammermusik auf mit Werken von drei bis vier Komponisten pro Abend. Drei Auftragswerke aus vergangenen Festivaljahren stehen zudem auf dem Programm: Charlotte Brays „A Lost Place“ für Violine, Viola und Violoncello von 2023, Detlev Glanerts „Noctambule Sextett für Klavier, Klarinette und Streichquartett“ (2008) sowie Jörg Widmanns „Oktett für Klarinette, Horn, Fagott, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass“, das für die „Spannungen“ 2004 komponiert wurde. Das Wasserkraftwerk Heimbach steht eben auch heute noch für Fortschritt – den musikalischen, nicht den technischen.