Herr Lauer, haben Sie mit dem Preis gerechnet?
Klaus Lauer: Nein, ich war komplett ahnungslos und völlig überrascht, als Thorsten Schmidt, Intendant und Geschäftsführer des Heidelberger Frühlings, mich anrief und mir diese Neuigkeit überbracht hat.
Woher kommt Ihre Liebe zur Musik?
Lauer: Letztendlich durch viele Zufälle und gute Connections. Mein Großvater spielte Geige und mit neun Jahren kam ich in ein Internat, in dem Musik eine sehr große Rolle gespielt hat. So gab es vor den Sommerferien immer eine Elternvorführung, wie die „Carmina Burana“, bei der alle Schüler mit eingebunden waren – bis auf zwei, die völlig unmusikalisch waren – und einer davon war ich.
Das könnte doch aber auch eher abschreckend gewesen sein, oder?
Lauer: Eigentlich bin ich ja Hotelier. Dadurch bin ich viel rumgekommen. In der Schweiz, Österreich, England und bin so durch meine vielen Kontakte immer wieder mit Musik in Berührung gekommen.
Aber von einer gewissen Beschäftigung mit Musik ist es immer noch ein weiter Weg bis zur Modernen Musik.
Lauer: Das hat 1966 angefangen, als ich von Stammgästen meines Hotels Premieren-Karten für „Parsifal“ in Bayreuth bekommen hatte. Damals dirigierte Boulez die Aufführung. Durch ihn bin ich letztendlich zur Modernen Musik gekommen.
Die Freundschaft mit Boulez war für Klaus Lauer der Schlüssel zur Neuen Musik
Wie das?
Lauer: Uns verband eine gute Freundschaft und von ihm habe ich viel gelernt und viele neue Impulse erhalten.
Wie freundet man sich mit einem Mann wie Boulez an?
Lauer: Wie gesagt, durch Stammgäste meines Hotels bin ich an die Tickets gekommen und durch sie auch zu einer Einladung zum Tee bei Winifred Wagner – die ich schließlich trotz einiger Vorbehalte angenommen habe. Meine Neugierde war einfach zu groß. Wirklich eine sehr souveräne Frau! In dieser Runde kam ich dann mit meinem Tischnachbarn, mit Boulez, ins Gespräch. Die Freundschaft begann aber eigentlich erst nach der entscheidenden Frage, nämlich was noch mit dem angebrochenen Abend angefangen werden soll. Über die Antwort waren wir uns sehr schnell einig: Essen gehen (lacht).
Boulez war auch Gast bei Ihnen im Hotel.
Lauer: Ja, fünfmal war er in Badenweiler. Zusammen mit seinem kompletten Ensemble ist er angerückt. Ich habe ein ganzes Haus für die Musiker angemietet, in dem sie gemeinsam Proben und Essen konnten. Aber 40 Leute sind nicht wenig und so haben sie sich auch bei mir im Hotel niedergelassen, haben in den Fluren gestanden und geprobt – es schien als seien die Musiker überall in Badenweiler verteilt gewesen.
Waren Ihre Hotelgäste nicht irritiert?
Lauer: Ganz im Gegenteil. Die Gäste fanden es gut und wollten sogar bei den Proben mit dabei sein, was ein gewisses Problem dargestellt hat.
Inwiefern?
Lauer: Boulez’ Proben waren sehr streng durchgeplant. Die Musiker sind das gewohnt, aber ob es die 70 geladenen Probengäste ebenfalls ohne Störungen durchhalten würden? Doch es ging alles gut und es was schön zu sehen, wie konzentriert das Publikum war.
War das der Beginn der Römerbadtage?
Lauer: Genau. 1973 habe ich damit angefangen, Komponisten zu mir ins Hotel nach Badenweiler einzuladen. Und es sind viele gekommen: Angefangen bei Boulez, Elliott Carter, George Benjamin bis hin zu Wolfgang Rihm, von dem allein zwölf Uraufführungen gespielt wurden.
Warum sind bei den Badeweiler Musiktagen jetzt nur noch sehr selten Uraufführungen zu hören?
Lauer: Für mich ist es wichtiger Stücke zu spielen, also ins Repertoire zu bringen. Damit gelangen die Werke nach und nach in die Köpfe des Publikums und bleiben dort auch. Jeder, der einmal Feuer gefangen hat, hilft der Musik. Die nächste Uraufführung ist am 28. April 2017 geplant. Ein Auftragswerk der Badenweiler Musiktage finanziert durch die Ernst-von-Siemens-Stiftung von Bruno Mantovani, das Jean-Guihen Queyras aufführen wird.
Warum gibt es ein Motto bei den Badenweiler Musiktagen?
Lauer: Das ist alles eine Disziplinierungsfrage. Ein interessantes Programm zusammenzustellen ist nicht die hohe Kunst, aber in Ordnung. Durch ein Motto ist man gezwungen nach Zusammenhängen zu suchen – und das Publikum ist dankbar dafür.
Wie ging es mit den Römerbadtagen zu Ende?
Lauer: 2007 war Schluss. Meine Nachfolger im Hotel wollten es allerdings dann noch weiterführen – ohne mich. Sie dachten, sie bekämen das auch hin, aber nach einem Jahr war schon wieder Schluss (lacht). Nachdem ich dann fünf Jahre Intendant bei der Alpenklassik in Bad Reichenhall war, bin ich 2012 nach Badenweiler zurückgekehrt. Und dann war der Entschluss relativ schnell von vielen Seiten gefasst, dass es die Badenweiler Musiktage geben soll, mit mir als Künstlerischem Leiter.
Woran mag der Versuch ohne Sie Ihrer Meinung wohl gescheitert sein?
Lauer: Wissen Sie, ich mache das jetzt schon seit 40 Jahren und die Musiktage sind sehr eng an meine Person geknüpft. Früher habe ich alles auf eigenes finanzielles Risiko gemacht, ich habe alles selbst finanziert! Und ich habe auch allem meinen persönlichen Stempel aufgedrückt. Die Programmfindung findet in enger Zusammenarbeit mit den Künstlern statt und mit den Jahren habe ich auch ein riesiges Netzwerk aufbauen können, woraus viele Freundschaften entstanden sind.
Eine angenehme Atmosphäre und ein reger Austausch stehen im Vordergrund
Aber Netzwerke und Kontakte zu haben reicht doch allein nicht aus?
Lauer: Das stimmt, aber im Prinzip mache ich immer noch alles alleine oder mit der Familie und Freunden zusammen. Meine Tochter verteilt die Programmhefte oder übergibt die Geschenke, meine Frau macht den Einlass. Vieles habe ich aus den Römerbadtagen übernommen, beispielsweise auch den Konzertbeginn.
Die Konzerte finden täglich um 18 Uhr statt.
Lauer: Im Römerbad haben sie sogar schon um halb sechs begonnen, aus dem einfachen Grund, weil ich nicht so gern vor einem Konzert esse – da werde ich bloß müde (lacht). Ein Kritiker aus der Anfangszeit hat das sogar mal als unsozial bezeichnet, ein Konzert so früh beginnen zu lassen. Aber das habe ich auch mit Blick auf meine Gäste getan. Am frühen Abend ist man noch frisch und kann sich danach beim Essen über den Abend unterhalten.
Überhaupt scheint Ihnen der Austausch sehr wichtig zu sein.
Lauer: Austausch und eine familiäre Atmosphäre sind mir sehr wichtig. Und das ist in Badenweiler auch möglich. Nach dem Konzert sind alle Besucher zu einem Glas Wein eingeladen und können ungezwungen miteinander plaudern – auch mit den Musikern. Im Hotel damals war es noch einfacher, da konnte man einfach jemanden an der Bar ansprechen und sicher gehen, dass derjenige auch im Konzert war. Wo spricht man denn sonst jemanden einfach an der Bar an?
Auch die Einführungen nehmen einen präsenten Platz ein.
Lauer: Diese macht traditionellerweise immer Rainer Peters, langjähriger Redakteur beim SWR, der dort bereits viele Konzert-Einführungen gehalten hat. Zuweilen kommen seine Vorträge schon zu gut an. Es ist nämlich schon vorgekommen, dass Leute nur in die kostenlose Einführung gegangen sind, aber nicht ins Konzert (lacht). Die meisten haben sich dann aber doch noch spontan Tickets gekauft.
Warum finden die Musiktage zwei Mal im Jahr statt?
Lauer: Es gibt dem ganzen eine Kontinuität. Einmal ist einfach zu wenig. Und viele Stammgäste aus dem Hotel kommen jetzt weiterhin zu den Badenweiler Musiktagen. Es ist für viele, besonders für ältere Besucher, ein fester Termin im Kalender um Freunde zu treffen. Außerdem ist es interessant zu beobachten, wie sich der Charakter der Musiktage mit den Jahreszeiten ändert. Der intensive und konzentrierte Höreindruck aber bleibt das ganze Jahr. Außerdem hat es den Nebeneffekt, dass im November, dieser Zwischenzeit von Herbst zu Winter, Zimmer in den Hotels gebucht werden.
Da spricht wohl voll und ganz der Hotelier aus Ihnen.
Lauer: Natürlich sind die Musiktage ein Gewinn für den Tourismus im Ort. Die Kurverwaltung ist Träger der Musiktage und blickt so besonders wohlwollend auf das Festival. Ich hoffe nur, dass auch der Nachwuchs nicht ausgeht – sowohl für Badenweiler als auch besonders für die Musik!
Was wollen Sie einem neuen Publikum mitgeben?
Lauer: Da muss ich Boulez zitieren, der sagt: „Du musst von Musik nichts verstehen. Mach nur dein Herz und deine Ohren auf.“ Viele Leute haben Vorurteile gegenüber Neuer Musik. Ehrlich gesagt, halte ich da Klavierschüler für die Schlimmsten. Sie denken, sie könnten Klavierspielen, kommen aber, allein schon aus Zeitgründen, nicht über Brahms hinaus. Wir sollten uns musikalisch keine Grenzen auferlegen. Wichtig ist, wach zu bleiben und sich für Neues zu interessieren. Besucher kommen oft zu mir her und bedanken sich für die neuen Höreindrücke. Give it a chance!
Aber Vorlieben hat doch jeder.
Lauer: Das stimmt, ich habe einen starken Bezug zur französischen Musik. George Benjamin hat mir sogar ein Stück gewidmet, das „Lauer Lied“. Er war Schüler von Messiaen, genauso wie Pierre-Laurent Aimard, der im Frühling ja auch kommen wird. Dann bin ich außerdem ein Kammermusik-Mann, denn es ist eine spezielle Art Musik zu machen. Irgendwann hat sich dann ein Schwerpunkt zwischen Boulez und Rihm eingependelt und es gab eine Zeit, in der ich Schönberg-Quartette rauf und runter gehört habe. Aber im Prinzip höre ich mir erst mal alles an.
Wenn Sie einen unendlichen Etat zur Verfügung hätten, welches wäre Ihr Traumkonzert?
Lauer: Ein Traumkonzert gibt es für mich in diesem Sinne gar nicht. Traumkonzerte sind für mich immer die, die ich vor mir habe. Einkaufen ist einfach, die Herausforderung ist aber zu entscheiden, was ich weglasse. Außerdem haben wir mit dem Kurhaus auch eine adäquate Spielstätte, auch wenn der Saal eigentlich zu groß ist. Aber der stammt eben noch aus der Zeit, in der der Kurbetrieb so richtig florierte.
In Badenweiler soll das Repertoire in den Köpfen des Publikums verankert werden
Was halten Sie eigentlich davon, wenn die Badenweiler Musiktage mit Donaueschingen oder Darmstadt verglichen werden?
Lauer: Das ehrt mich zwar sehr, trifft aber den Kern nicht ganz. Ich würde sagen, Donaueschingen ist auf Neuheiten aus, Darmstadt steht sehr für eine Ideologie. Wir sind für eine Festigung moderner Werke ins Repertoire und damit wie gesagt auch in die Köpfe des Publikums.
Haben Sie ihr Publikum erzogen?
Lauer: Erziehen ist nun ja ein schwieriges Wort, aber ich meine, das Ohr des Publikums mit meiner Beharrlichkeit an die Moderne und Neue Musik herangeführt zu haben. Einmal hat eine Besucherin sogar zu mir gesagt, dass wir nächstes Mal doch bitte wieder etwas Modernes machen sollten – das war nach einem Schostakowitsch-Konzert (lacht).
Was halten Sie von vermeintlich innovativen Konzert-Formaten?
Lauer: Von diesen Pseudo-Geschichten halte ich gar nichts. Zum Leben gehören nun mal gewisse Verhaltensregeln. Aber man kann ja auch dazulernen. Zum Beispiel haben wir zwei Mal „4’33’’“ von Cage aufgeführt. Das erste Mal war die Spannung kaum auszuhalten, bis auf einmal ein Junge angefangen hat, aus vollem Herzen zu lachen. Beim nächsten Mal war das Publikum schon deutlich lockerer.
Was halten Sie davon, das Publikum mit großen Namen anzulocken?
Lauer: In erster Linie habe ich nie auf die großen Namen allein gesetzt, sondern zu allererst auf die Qualität. Obwohl bekannte Künstler beim Publikum natürlich besser ankommen.
Das heißt, Sie geben auch jungen Musikern eine Möglichkeit?
Lauer: Es gibt nun mal unglaublich viele hervorragend ausgebildete junge Musiker, die auf irgendeine Weise ihren Unterhalt verdienen müssen. Und wie macht man das am besten? In dem sie selbst Konzerte veranstalten, mit denen sie die Massen für kleines Geld ansprechen wollen. Das führt in einen Teufelskreis, denn es werden vermehrt die bereits abgelatschten Stücke gespielt, was dazu führt, dass unbekanntere Komponisten seltener gespielt werden und letztendlich auch die Qualität darunter leidet.
Und junge Komponisten?
Lauer: Diese tendieren meiner Meinung nach zu zwei Fehlern: Erstens komponieren sie zu lange Stücke und zweitens wollen sie alles was sie im Sinn haben auf einmal verarbeiten. Damit haben sie ihr Pulver oftmals bereits verschossen.
Erfahren Sie mehr über den Künstlerischen Leiter der Badenweiler Musiktage Klaus Lauer – hier geht’s weiter.
Im Video: YuEun Kim interpretiert das „Lauer Lied“ von George Benjamin