Seit ihrer Gründung durch Hans Werner Henze versteht sich die Münchener Biennale als Forum und Motor der von Komponierenden aus ideologischen und strukturellen Vorbehalten oft gemiedenen Kunstform Oper. Im März gab es vor dem eigentlichen Zyklus in diesem Jahr eine verknappte Ausgabe der 2020 wegen Corona entfallenen Biennale „Point of new Return“. Nach der Uraufführung in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin spielte man das Musiktheater-Hybrid „Once to be Realised“ in München und Athen. Diese „sechs Begegnungen“ von Beat Furrer, Barblina Meierhans, Olga Neuwirth, Younghi Pagh-Paan, Samir Odeh-Tamimi und Christian Wolff entstanden aus Skizzen des 1970 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen griechischen Komponisten Jani Christou. Sie reihten sich zu einem Parcours aus performativen, elektronischen und musikalischen Aktionen.
Wegen der Lockdowns fand die Uraufführung „opera! opera! opera! revenants and revolutions“ von Thomas Köck und Ole Hübner weder in Halle noch in München statt. Unter Gesamtleitung von Michael von zur Mühlen machte man sie in der Münchner Utopia-Halle zu einer „operativen Installation“: Ein Cyborg erkundete in einer nicht genauer bestimmbaren Zukunft das Wesen der menschlichen Psyche. Deren ideale Gestalt war eine Opernprimadonna. Dazu erklangen Fragmente aus uralten Zeiten, in denen es noch Emotionen, Revolutionen und Utopien gab.
Nach diesem Abgesang auf die Kunstform Oper und den Homo Novus versprechen die Biennale-Leiter Daniel Ott und Manos Tsangaris vom 7. bis 19. Mai kaum Optimistisches. Auch beim Motto „Good Friends“ bewirkt die Pandemie einen massiven Dringlichkeitskick. Neben starken Gefühlen wie Verbundenheit und Solidarität geht es um existenzielle Bürden, Fesseln und Gefahren des heutigen Menschseins. Für „The Little Lives“ von Ann Cleare wurde die vielgelesene Autorin A. L. Kennedy zur Librettistin. In „The Damned and the Saved“ von Malin Bång und Pat To Yan verschwimmen Dystopie und aus aktuellen Zuständen visionierte Widerstandsszenarien.
Dokumentation, Kommentar und Kunst
Mehrfach balanciert die Biennale 2022 zwischen Dokumentation, Kommentar und Kunst. Bernhard Gander und Serhij Zhadan fragen in „Lieder von Vertreibung und Nimmer-Wiederkehr“, ob „eine richtige Entscheidung überhaupt noch gelingen kann“. Lucia Kilger und Nicolas Berge entwickeln einen „Good Friends Club“, in dem das Publikum die Mitgliedschaft zu einer hybriden Community erhält. Realitäts-, Abstraktions- und individuelle Ebene geraten in Reibungen aneinander. Einlass ist alle zwanzig Minuten für sechzehn Personen. Polina Korobkova legt „Spuren“ in die düstere Vergangenheit des Gebäudes der Münchner Hochschule für Musik und Theater. Selbstreferentielle Fragen zur Zukunft des Musiktheaters mit ungewöhnlichen Mitteln: Øyvind Torvund stellt fiktive Opernprojekte auf den Kommunikationsprüfstand. In den „Salons des Wunderns und der Sichten“ diskutieren Beteiligte über die Kunst und das Leben. Der Campus „Die Ästhetik der geteilten Autorschaft“ untersucht durch künstlerische Prozesse entstandene Freundschaften.