Klangvolle Metaphern gibt es für viele Städte – allein für Hannover vermögen die PR-Strategen offenbar keine zu finden. In der Tat scheint die brutalistische Betonmoderne der niedersächsischen Landeshauptstadt auf den ersten Blick keine Reise wert; und doch lockt die „Spröde an der Leine“ mit Schönheiten, auch wenn diese meist allein den Einheimischen bekannt sind. So lässt sich etwa der Vormittag im bald erweiterten SprengelMuseum verbringen, am Nachmittag empfiehlt sich sommers ein Besuch im Strandbad am Südende des Maschsees – oder auch in den Herrenhäuser Gärten, wo seit 2010 die „KunstFestSpiele“ stattfinden. Bis ins frühe 17. Jahrhundert war Hannover ein ärmlicher Ort gewesen. Das änderte sich, als Sophie von der Pfalz in die Stadt kam: 1658 hatte sie Ernst August zu Braunschweig-Lüneburg geheiratet, der 1679 dann die Regierung in der Residenz Hannover übernahm.
Weltpolitik aus dem Garten
Zwar kanzelte sie das bescheidene Landschloss als „gar schlecht“ ab, doch der dazugehörende „Jardin de la Leine“ hatte es ihr angetan – ja, dieser wurde „ihr Leben“, wie sie in einem Brief bekannte. Und so wie sie es aus den Barockanlagen ihrer niederländischen Heimat kannte, ließ die weltläufige Kurfürstin auch hier prächtige Blumenbeete und Wasserspieleanlegen, Linden-Alleen, Irrgärten und Kulissen aus steinernen Statuen. Was weit mehr war als nur die Liebhaberei einer gelangweilten Kurfürstin: Von den Herrenhäuser Gärten aus betrieb sie nämlich Weltpolitik, brachte ihre weitverzweigte hochadelige Verwandtschaft auf rauschenden Partys zusammen und versuchte so, die verwickelten europäischen Erbfolgen zu regeln. Und agierte dabei so erfolgreich, dass ihr Sohn Georg Ludwig 1714 als King George I. den englischen Thron bestieg. So würdigt denn auch bis heute ein Denkmal jenen Ort mitten im Park, wo die kluge Herrscherin 1714, fast 84 Jahre alt, zusammenbrach: Ein Buch in der Hand, sitzt dort die Kurfürstin auf einem Thronundblicktstolzinihren Garten hinein.
Quietschbunte Sangria-Strohhalme
Eben hier eröffnete über 300 Jahre später vergangenen Mai Intendantin Elisabeth Schweeger ihre letzte Ausgabe der „KunstFestSpiele“. Wo einst die Hofkapelle unter ihrem Kapellmeister Georg Friedrich Händel aufgespielt hatte, fauchte und zischte es nun 16 Stunden lang, bis morgens um drei. Ringlandschaft mit Bierstrom hatte das Ensemble Kaleidoskop seine Performance getauft, die Wagners Ring neu montierte. Während nebenan auf der Wiese, wo schon der russische Zar Peter der Große mit der Kurfürstin getanzt hatte, eine Kunstinstallation aus quietschbunten Sangria-Strohhalmen lagerte und nahe der prächtigen Galerie der Herrenhäuser Gärten – hier sinnierte ehemals der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz über die Unendlichkeit von Gottes Schöpfung – eine Ketchup-Kanone blutrote Spritzer an eine Wand feuerte. Und als szenisches Schmankerl gab’s eine schrille Inszenierung im benachbarten Theaterhaus, samt Pferdekadaver und mäandernder Riesengummikrake.
„Gegen den Strich“ lautete das Motto der Festspiele 2015 – und eben dies hatte die streitbare Intendantin auch zu ihrem Prinzip erhoben. Schon im ersten Jahr, 2010, ließ sie Monteverdis Orfeo auf die Musik des englischen Post-Punk-Sängers Ian Curtis prallen und platzierte Christoph Schlingensiefs anarchistisches Operndorf in die strenge absolutistische Gartengeometrie von Herrenhausen. Ein Mix von Alt und Neu, der sich in dem spartenübergreifenden Festival aus Schauspiel, Musik und bildender Kunst bewährt hat – und zweifellos auch von Schweegers Nachfolger Ingo Metzmacher fortgesetzt werden wird.
Die Festivaldaten im Überblick:
Zeitraum: 13. – 29.5.2016
Ort: Hannover
Künstler: Hagen Quartett, Ingo Metzmacher, Isabelle Faust, Graindelavoix, David Fray, Jack Quartet, MAU Company, NDR Radiophilharmonie, Wiebke Lehmkuhl, Thomas Quasthoff u. a.
Alle Termine und weiterführende Infos hier.
Was es im Bereich Festival außerhalb von Hannover zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.