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Festivalguide Impuls-Festival 2014

Neue Musik in verblühender Kulturregion

Getreu seinem Motto „jenseits der Weite“ behauptet sich das Impuls Festival als wunderbares Kuriosum in Sachsen-Anhalt

vonChristian Schmidt,

Jenseits internationaler Denkmäler macht Sachsen-Anhalt nicht gerade den Eindruck kulturellen Reichtums. Dabei kann die – abgesehen vom Harz und einigen sanften Hügelketten – platte Landschaft auf eine immense Geschichte verweisen, die nicht erst beim Magdeburger Otto anfängt und nicht im Dessauer Bauhaus endet. Gleichwohl leidet das demografisch gebeutelte Land unter einem bespiellosen Verfall: Nur selten trügt das Gefühl, der Landesregierung sei vor allem die teure institutionalisierte Kultur allein noch ein Klotz am Bein.

 

Ein Festival, das weit über die Region hinaus strahlt

 

Umso erstaunlicher wirkt da das programmatisch höchst interessante „Impuls“-Festival für Neue Musik, das in diesem Herbst zum siebten Mal im ganzen Land stattfindet und medial weit über dessen Grenzen hinaus ausstrahlt. Unter der Leitung des renommierten niederländischen Komponisten und Dirigenten Hans Rotman bezieht das Festival heimische Orchester und deren Publikum mit in seine Programmierung ein, vernetzt Schulen und Hochschulen miteinander, initiiert Jugendprojekte und belebt so eine Region, in der die allgegenwärtigen Kulturhäuser nach der Deindustrialisierung die ersten waren, deren Scheiben eingeschlagen wurden und deren Fassaden zerbröckelten.

Dass eine internationale Größe wie Helmut Oehring als Residenzkünstler verpflichtet wurde, dass neun Werke ur- oder in Deutschland erstaufgeführt werden, davon fünf vom Festival beauftragt, ist da angesichts des breitensportlichen Erfolges fast geschenkt. Die eigentliche Sensation besteht darin, dass ein Musikfestival, das sich fast ausschließlich Neuer Musik widmet, in einem kulturell ausblutenden Flächenland auf so großes Interesse stößt. Ob es die auf Sparflamme zusammengestrichene Kammerphilharmonie aus dem südlich von Magdeburg liegenden Schönebeck oder das kleine, aber feine Nordharzer Städtebundtheater ist – viele kleine Bühnen abseits überregionaler Aufmerksamkeit bringen nicht nur ihre Künstler, sondern vor allem viel Herzblut und ihre Fans ein.

So sitzen pro Konzert im Schnitt 350 Zuhörer im Saal – eine selbst für hauptstädtische Verhältnisse gigantische Zahl für dieses Genre, wie Hans Rotman betont. „Spielen in den Metropolen oft spezialisierte und hoch motivierte Ensembles für ein ebenso spezialisiertes Publikum, ergibt sich daraus für ein Bundesland ohne Metropolen der Nachteil, dass diese Ensembles hier keine Spuren hinterlassen: Man kauft sie ein, und danach verschwinden sie wieder.“

Also fühlte der ambitionierte Intendant, dass es an der Zeit sei, die Orchester des Landes zu motivieren, mehr Neue Musik zu spielen, und zwar in einer übergeordneten Programmdramaturgie. „So wurde die Idee eines Netzwerkes geboren.“ Und, fast noch wichtiger in einem Land, dessen Kulturinstitutionen auch gern mal von der Sparwut des Kultusministers gegeneinander ausgespielt werden: Da alle dabei sind, geht Austausch vor Konkurrenz.

Uraufführungen, Workshops, Jugendprojekte – und die Angst vor weiteren Kürzungen

Innerhalb von vier Wochen stemmt das Festival in zwölf Städten 18 Veranstaltungen, dazu gesellt sich ein Workshop, der sich um den Dirigentennachwuchs kümmert, um auch dessen Mut zu Neuer Musik herauszufordern. Das rühmlichste Beispiel ist indes das bislang größte Jugendprojekt des Festivals. Mit „Heimat – Eine Spurensuche“ ist ein Musiktheaterabend geplant, bei dem sich über 80 Jugendliche aus fünf verschiedenen Regionen Sachsen-Anhalts auf die zwiespältigen Spuren ihrer Herkunft begeben.

Bleibt zu hoffen, dass vor allem diese hervorragende Arbeit nicht an den Kürzungsplänen der Landesregierung scheitert. „Seit sechs Jahren haben wir schon mehr als ein Viertel unserer Zuwendungen eingebüßt, konnten aber bis jetzt durch viele engagierte private Sponsoren alle Aktivitäten aufrecht erhalten“, sagt Hans Rotman. „Zurzeit laufen Gespräche, um einer weiteren Kürzung um 40 Prozent seit 2008 vorzubeugen, wodurch das Jugendprojekt nicht mehr realisierbar wäre.“

 

Die Festivaldaten im Überblick:

 

Zeitraum: 31.10. – 25.11.2014

Orte: Halle, Dessau, Magdeburg, Halberstadt, Leipzig, Schönebeck, Wernigerode

Künstler: Staatskapelle Halle, MDR Rundfunkchor, Anhaltische Philharmonie Dessau, Yejin Gil u. a.

 

Termine und weiterführende Infos finden Sie hier.

 

Was es im Bereich Festival außerhalb von Sachsen-Anhalt zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.

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