Sommerpause? Sommerfrische! Mittelalterliche Burgruinen und römische Arenen werden jetzt zu Musentempeln. Sängerstars und renommierte Orchester verlassen die Metropolen und finden sich an Orten ein, die oftmals so beschaulich sind, dass große Oper hier für eine ganze lange Spielzeit gar keine Chance hätte. Dafür punkten diese Orte mit einem ganz besonderen atmosphärischen Fluidum, mit einmaligen Naturkulissen oder der berührenden Anmutung schon lange vergangener Zeiten. Jetzt schmiegen sich Kultur und Natur ganz eng aneinander, Primadonnen und gesangsbegabtes Federvieh sind schon mal im ungeplanten Duett zu vernehmen, und ein rasch aufziehendes Gewitter sorgt mitunter dafür, dass die geplante Anfangszeit einer Premiere kurzerhand verschoben wird. Bei den Open-Air-Festivals ist das wetterbedingte Risiko eingepreist, wird bei eingefleischten Fans sogar munter diskutiert. Das Unvorhersehbare, hier wird’s Ereignis.
Puccini in Verona
Der Mehrwert des Ambientes und die Einmaligkeit einer jeden Vorstellung sind also garantiert. Im Gegensatz zu diesen Abenteuer- und Zufallsmomenten präsentieren die Programmverantwortlichen vieler Festivals freilich eher sattsam Bekanntes. Schließlich gilt es, das Publikum in großen Strömen anzulocken, das ja seinerseits meist mehr oder weniger weite Reisen zum Festival der eigenen Wahl auf sich nimmt. Der Klassiker der Freiluftoper, der anno 1913 erstmals mit Verdis „Aida“ nach Oberitalien einlud, steht natürlich in Verona. Im Opernfestival der imposanten Arena ist in seiner 101. Saison natürlich auch wieder das Signet-Werk zu erleben, diesmal allerdings in gleich zwei verschiedenen Inszenierungen: jener der hiesigen Erstaufführung und der im vergangenen Jahr herausgekommenen „Aida“-Neuproduktion des für seine spezifischen wie spektakulären Bildfindungen gerühmten Gesamtkunstwerkers Stefano Poda.
Dominiert den gesamten Arena-Spielplan sonst meist der Hausheilige Giuseppe Verdi, stehen in diesem Sommer mehr Titel seines jüngeren Kollegen Giacomo Puccini auf dem Programm, denn 2024 ist schließlich Puccini-Gedenkjahr. Die Eröffnung bestreitet „Turandot“, es folgen „La Bohème“ und „Tosca“. Durch die häufig wechselnden, durchweg prominenten Besetzungen empfiehlt sich der Blick auf die Homepage. Mit dabei in 2024: Sopranistinnen wie Pretty Yende, Anna Netrebko, Maria José Siri und Elena Stikhina, Tenöre wie Roberto Alagna, Piotr Beczała, Vittorio Grigòlo, Gregory Kunde und Jonas Kaufmann, Baritone wie Ludovic Tézier oder Bässe wie Erwin Schrott zählen zum Who’s Who der Szene.
Die deutsche Open-Air-Oper schlechthin
Wiederum Puccini und Verdi stehen in einem der stimmungsvollsten und ebenso akustisch herausragenden Festivalorte nördlich der Alpen im Mittelpunkt: „Madama Butterfly“ wird in der Ruine der mittelalterlichen Stauferburg von Schloss Hellenstein von Rosetta Cucchi in Szene gesetzt. Die Opernfestspiele Heidenheim mit ihrem weithin sichtbaren Grünen Hügel der Schwäbischen Alb sind unter ihrem jüngst bis zum Jahr 2030 im Amt bestätigten künstlerischen Leiter Marcus Bosch aber stets auch für Ausgefallenes zu haben. So setzt der Dirigent seinen Zyklus der frühen Verdi-Opern mit seinem Originalklangensemble Cappella Aquileia in der Indoor-Spielstätte des Festspielhauses CCH fort: Andreas Baesler führt in der Inka-Oper „Alzira“ Regie.
Die deutsche Open-Air-Oper schlechthin steht bei gleich zwei weiteren wichtigen Festivals, die beide lauschig an einem See liegen, im Mittelpunkt: Bei den Eutiner Festspielen gehört „Der Freischütz“ (Regie: Antony Pilavachi) gleichsam zur DNA, bei den Bregenzer Festspielen (Regie: Philipp Stölzl) ist der romantische Thriller von Carl Maria von Weber hingegen erstmals zu bestaunen. Rossinis „Tancredi“ ergänzt im Bregenzer Festspielhaus neben dem breiten weiteren Angebot mit Orchesterkonzerten und Schauspielproduktionen die Opernpalette.
Wiederum faszinierend vielseitig ist das Angebot des finnischen Traditionsfestivals in Savonlinna. Die mitten im Wasser gelegene Burg Olavinlinna ist seit 1912 Festspielort. Verdis „Nabucco“ er-öffnet den Premierenreigen, der mit Wagners „Lohengrin“ (Karita Mattila debütiert als Intrigantin Ortrud), Mozarts „Don Giovanni“ sowie „Adriana Mater“ der 2023 verstorbenen finnischen Komponistin Kaija Saariaho komplettiert wird.