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FESTIVALGUIDE Chor@Berlin

Raus aus der Vereinsecke

Das Vokalfest Chor@Berlin bietet eine gelungene Mischung aus Therapiesitzung und Lounge-Atmosphäre

vonChristian Schmidt,

Es ist kein Zufall, dass sich das Radialsystem V im Berliner Hipster-Stadtteil Friedrichshain verbirgt, fernab von allen Grotesken und Manierismen des hauptstädtischen Hochkulturbetriebs. Seit zehn Jahren locken die Macher ein sich als alternativ verstehendes Musik- und Theaterpublikum in die abgedunkelten Räume des ehemaligen Abwasserpumpwerks. Längst ist die einst als Provokation angelegte Spielstätte den Kinderschuhen entwachsen und hat mittlerweile sogar zum Stadtführerobligaten Establishment der Bundeskulturmagneten aufgeschlossen.

Seine lässige Lounge-Atmosphäre hat sich das Radialsystem V dennoch erhalten, bei aller namensträchtigen Untergrund-Koketterie bewahrt sich das ambitionierte Veranstaltungshaus seinen Charakter der Improvisation bis heute. So kommt es, dass neben vielen weiteren Kunstexperimenten nun auch das Vokalfestival „Chor@Berlin“ schon zum fünften Mal in die heiligen Alternativhallen lädt. Und tatsächlich schlägt sich dessen Beflissenheit, anders sein zu wollen, regelmäßig im Programm nieder: Denn dieses wirft nicht einfach verschiedene Ensembles zusammen, rührt um und versucht zu verkaufen – nein, es sucht nach dem Neuartigen, dem Modernen, der Innovation beim gemeinsamen Singen.

 

Gruppenerlebnis: die eigene Stimme entdecken

 

Zumal der Chorverband, der das Festival mitorganisiert, eine ständig wachsende Zahl von Gesangsensembles bemerkt haben will: Allein in Berlin soll es inzwischen mehr als 800 Chöre geben – was natürlich auch ein gewaltiges Ticketpotenzial birgt. In diesem Jahr kommt dank der Beteiligung des Berliner Mädchenchores und der Knaben vom Staats- und Domchor zudem noch der Niedlichkeits- und Bewunderungsfaktor hinzu – und da bei „Chor@Berlin“ auch immer wieder Laienensembles der hauptstädtisch blühenden Landschaften mitwirken, sind Publikumsbindung und ausverkaufte Säle gleichermaßen garantiert.

 

Eingerahmt von Profichorkonzerten, treffen da Jazzstimmen und ein so genannter „Ich-kann-nicht-singen-Chor“ aufeinander, in dem vor allem frühkindliche Traumata auskuriert werden, die verständnislose Musiklehrer dereinst ausgelöst haben: Das gemeinsame Erlebnis steht an erster Stelle, eine Art Erweckungsbewegung durch die Entdeckung der eigenen Stimme. Daneben gibt es Dirigierkurse und Workshops für die rhythmische Selbsterfahrung, Interpretationsleitfäden und Stimmbildung im Akkord – allesamt Begleitveranstaltungen, die sich kaum versteckt der eingebildeten oder tatsächlichen therapeutischen Wirkung des Gesangs widmen.

 

Migranten proben deutsche Heimatlieder

 

Womit die Macher besonders in Berlin einen hochsensiblen Nerv treffen: Denn nicht umsonst hat gerade in der Hochburg der Singlehaushalte das Singen im Individualzeitalter der Selbstfinder und Sinnsucher wieder Hochkonjunktur, ist die einstige Volkslieder-Vereinsmeierei mit ihrem Makel des Verstaubten längst der Spannung zwischen aufmerksamem In-sich-Hineinhören und gesundheitsförderlichem Entäußern gewichen. Und so macht „Chor@Berlin“ kaum einen Hehl daraus, sich vor allem an Zuhörer zu richten, die gern selbst singen (würden) – oder doch wenigstens anderen dabei bewundernd zusehen und so die Magie einer Art von menschlicher Kommunikation wahrnehmen, die wohl noch älter als die Sprache ist und damit auch einen gewissen archaischen Anstrich hat.

 

Ein Hang zur Introversion, der indes der kulturellen Strahlkraft keinen Abbruch tut, die das Radialsystem über die Stimmenpsychologie hinaus durchaus entwickelt hat. Den spannendsten Programmpunkt verspricht dabei das Projekt „Heimatlieder aus Deutschland“: Fünf Berliner Chöre und Bands lassen den Migrationshintergrund ihrer Mitglieder lebendig werden und geben dem überstrapazierten Wort der Integration einen ganz anderen, musikalischen Klang. Ob serbisch, arabisch oder marokkanisch: Hier buhlt keine Straßentruppe um das Interesse ignorant Vorbeieilender, sondern es findet ein echter, tief empfundener kultureller Austausch statt. Ein Experiment mit völkerverbindendem Potenzial.


 

Die Festivaldaten im Überblick:

Zeitraum: 12. – 15.2.2015

Ort: Radialsystem V in Berlin

Künstler: Ensemble Mixtura, Die Singphoniker, Audi Jugendchorakademie, Jazzchor Freiburg, RIAS Kammerchor u. a.

Weitere Infos erhalten Sie hier.

Was es im Bereich Festival noch zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.

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