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Festival Movimentos 2011

Schön tanzen, wahr hören

Die Movimentos Festwochen in Wolfsburg: Über Choreografie zur Musik

vonThomas Hahn,

Tänzer lügen nicht. Und wenn doch, dann tun sie es so schön, dass man ihnen bereitwillig verzeiht. So steht die diesjährige Ausgabe des Festivals Movimentos unter dem Motto „Schönheit und Wahrheit“. Bernd Kauffmann, künstlerischer Leiter der Festwochen in Wolfsburg, sieht das so: „Je mehr wir von den schönen Waren umstellt zu sein scheinen, umso mehr wächst das Streben nach dem Schönen und Wahren. Nur sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass wir beides nie ganz erreichen können. Aber die Sehnsucht bleibt.“ Hören wir deshalb Musik? Spiegelt eine Choreografie genau diese Sehnsucht? Musik lügt nicht, doch wer empfindet jede Art von Musik als schön? Ein Tänzer in Aktion gibt sehr wohl vor, ein wenig über dem normalen Menschen zu schweben. Bewegung und Beleuchtung helfen dabei, doch ist die Fähigkeit, mit dem Körper Illusionen zu erzeugen auch das Ergebnis harter, äußerst ehrlicher Arbeit. Nur wie sich ein Tänzer zur Musik verhält, das ist objektiv erfahrbar. Er kann den Dialog mit ihr verweigern, aber vortäuschen kann er ihn nicht. So mag eine gewisse Absicht dahinter stehen, wenn in diesem Jahr fast alle Tanzstücke von Movimentos die Musik zum Thema machen.

Philippe Decouflé zum Beispiel. Offensichtlich gut erholt, aber durchaus noch inspiriert von seiner Kreation der neuen Revue des Crazy Horse in Paris, ging er die Arbeit zu seinem neusten Stück so an, wie eine Band es für ein Album tut. „Das wollte ich schon immer mal“, sagt er. In „Octopus“ ist es so weit, Titel für Titel, in acht Aufzügen, mit allerlei metaphorischen Bildern vom Schwan, von Affen, von menschlichen Zungen in erregtem Flirt, wie beim Chamäleon. Und tatsächlich ist dieser Bilderreigen auch ein Konzert, von rockig bis romantisch, dessen Musiker und Sänger Lablaya Nosfell und Pierre Le Bourgeois, links und rechts mit auf der Bühne stehend, der Perfektion und stilistischen Vielfalt der Tänzer in nichts nachstehen. Mit ihrer Präsenz zeigen sie, wie lebendig der Dialog auf der Bühne werden kann.

Und auch aus Brüssel kommt ein Choreograf nach Wolfsburg, der seit vielen Jahren in jedem seiner Stücke Musik inszeniert, anstatt sie als simple Beschallung zu nutzen. Sidi Larbi Cherkaoui ist als Sohn marokkanischer Einwanderer ein pures Multikulti-Gewächs und das zeigt sich in seiner Art, in jeder Kreation eine andere musikalische Tradition zu beschwören. Wenn es denn spirituell zugeht. In „Apocrifu“ tanzt er mit zwei Kollegen im Blick der sieben Sänger des korsischen Vokalensembles A Filetta in einem Bühnenbild, das von einer gigantischen Treppe dominiert wird. Bibel, Koran und Talmud spielen weitere Hauptrollen. Cherkaoui tanzt für die Freiheit des Körpers in der Religion und Harmonie der Kulturen. Deshalb bringt er gleich „Dunas“ mit, sein Duo mit der legendären  Flamencotänzerin María Pagés. Hier ist jedes Bild ein ästhetischer Genuss, so dass die Musiker nicht direkt in die Handlung eingreifen können. Dafür spielen sie einen Dialog von Flamenco, Klassik, mittelalterlichen und jüdischen Melodien, feinfühlig ineinander gewoben von den Komponisten Szymon Brzoska und Rubén Lebaniegos.

Komplettiert wird das Programm von der Sydney Dance Company, der norwegischen Zero Visibility Corp. der Choreografin Ina Christel Johannessen und von Nasser Martin-Gousset, dessen Truppe in „Pacifique“ humorvoll mit James-Bond-Thrillern abrechnet.

www.movimentos.de

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