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Festivalguide – Wratislavia Cantans 2015

Singende und spielende Geburtshelfer

Feierstimmung: 2016 wird Breslau Kulturhauptstadt Europas – schon in diesem Herbst eröffnet zum Wratislavia Cantans-Festival die neue Konzerthalle

vonChristoph Forsthoff,

„Die Menschen haben die Fähigkeit zum Singen verloren – dabei ist Musik doch ein Teil der Ursprache.“ Trauer schwingt in den Worten Andrzej Kosendiaks, doch zugleich auch die Ansage, dies nicht einfach hinzunehmen. Wie könnte er auch, ist der umtriebige Pole doch nicht nur Vorsitzender des Nationalen Forums für Musik, sondern auch Direktor des Breslauer Festivals „Wratislavia Cantans“, das die Hingabe zum Gesang schon im Namen trägt. Und überhaupt, jetzt wo in der mehr als 1000 Jahre alten Stadt die Eröffnung des neuen Konzerthauses („Bei uns wird es mit 100 Millionen Euro nicht so teuer wie in Hamburg – und es hat auch nicht so viele Probleme gegeben wie bei der Elbphilharmonie“) unmittelbar bevorsteht und sich in Wrocław alles auf 2016 vorbereitet, wenn Breslau als Kulturhauptstadt Europas einen Ansturm von Kulturtouristen erwartet, ist die beste Gelegenheit, Aufbruchsstimmung zu verbreiten. 

 

„Breslau wird in Deutschland immer als sehr weit entfernt betrachtet – dabei ist es nicht nur historisch nah“, wirbt Kosendiak für seine Heimat. „Zwei Stunden mit dem Auto von Berlin, von München braucht man mit dem Flugzeug 50 Minuten – wir liegen nicht hinter dem Ural.“ Weshalb die schlesische Stadt eben auch immer wieder fremden Herrschern ausgesetzt war und unter diesen mehr als einmal – zuletzt im Zweiten Weltkrieg – heftig zu leiden hatte. Bis heute sind die Spuren des Kriegs unübersehbar – und doch gilt mittlerweile wieder jener Satz Alfred Kerrs, der 1918 über seine Heimatstadt schrieb: „Wie schön sie ist! An manchem stillen Abend im Juni. Wie schön in ihrem Baumgrün um den Stadtgraben.“ Was insbesondere die 150 000 Studenten unter den rund 650 000 Einwohnern zu schätzen wissen – und das keineswegs allein an lauen Sommerabenden: In Scharen bevölkern sie die vielen Restaurants, Bars und Clubs im Zentrum rund um den gewaltigen Marktplatz, den die schmucken Barock,- Jugendstil- und Renaissance-Fassaden der liebevoll sanierten Bürgerhäuser säumen – und in dessen Mitte das prachtvolle gotische Rathaus thront, in dessen Schankkeller einst schon Goethe gebechert haben soll. Oder begeben sich in das „Toleranzviertel“, wo sich Protestanten, Katholiken, Juden und Orthodoxe nach den düsteren Jahrzehnten von Faschismus und Kommunismus für immer Achtung gelobten, und wo sich heute laute Technoclubs neben ruhigeren Szenekneipen finden.

 

„Education“-Programme für den neuen Konzertsaal

 

In letztere wird es zweifellos auch manchen Festival-Besucher ziehen – zumindest nach den Konzerten. Denn ob nun Kirchen, die alte Philharmonie, das klassizistische Opernhaus oder der kupfern glänzende Konzerthausneubau mit seinen vier Sälen: Die „Wratislavia Cantans“-Spielstätten sind ebenso zentral wie fußläufig gelegen. Dass dies allein naturgemäß nicht reicht, um einen neuen Konzertsaal mit 1800 Plätzen dauerhaft zu füllen, weiß auch Kosendiak. Und so präsentierten der Direktor und sein Team denn auch schon mit den ersten Planungen für den Neubau 2003 ein Konzept, das „Education“-Projekte ebenso beinhaltet(e) wie Familienkonzerte. Gründeten vier neue Musikschulen, banden die Bürgermeister der umliegenden Orte wie lokale Kulturzentren ein und haben mit „Singing Poland“ ein Programm aufgelegt, das nicht allein Musiklehrer und Chorleiter unterstützt, sondern sogar Müttern Wiegenlieder beibringt. 

 

Musikalische Kärrnerarbeit – doch wie hatte es Zoltan Kodály einst so zugespitzt wie treffend formuliert: „Die Musikalisierung von Kindern und Jugendlichen beginnt neun Monate vor Geburt der Mutter.“ Angesichts der vielerorts zu erlebenden musikalischen Aufbruchsstimmung könnten diese Geburtsvorbereitungen in Breslau tatsächlich dazu beitragen, künftig das Nationale Forum der Musik zu füllen – und in diesem September zum 50. Festivaljubiläum von Wratislavia Cantans die Stadt zu einem einzigen großen Konzertsaal machen. 

 

 

Die Festivaldaten im Überblick: 

 

Zeitraum: 6.9. – 19.9.2015

Künstler: Giovanni Antonini, Trevor Pinnock, Maria João Pires, eighth blackbird, Zubin Mehta u. a.

Ort: Breslau

 

Was es im Bereich Festival zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.

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