In der Bar des Hotels Schweizerhof hat sich der gemischte Chor hinter einem Klaviertrio aufgestellt, draußen macht sich die Hip-Hop-Tanzgruppe der evangelischen Gemeinde Davos neben der Blaskapelle warm. Punkt 17 Uhr fangen dann alle gleichzeitig an zu singen und zu spielen: Brahms’ erstes Klaviertrio trifft auf Volkslieder in Schweizer Mundart, das Mozart-Divertimento des Streichorchesters im Foyer wird von einer leicht penetranten Ratsche kommentiert. Über Treppen und Flure bewegen sich die Zuhörer frei zwischen den Ensembles und Solomusikern – während draußen auf dem Vorplatz Bratwurstdüfte gen Himmel steigen …
Musik mitten aus dem Leben
John Cages Musicircus geriet vergangenes Jahr beim 30. Davos-Festival zum kleinen Happening: Gängige Konzertmuster wurden aufgebrochen, die Grenzen zwischen musikalischen Stilen getilgt. Die sieben Bläser der österreichischen Formation „Federspiel“ vagabundierten zwischen den einzelnen Ensembles und traten musikalisch auch mit anderen Beteiligten in Kontakt. Womit im Kleinen eben das passierte, was allsommerlich auch im Großen stattfindet: Junge, hochbegabte Musikerinnen und Musiker lernen sich kennen und entwickeln gemeinsam Neues – 2015 waren rund 70 Musikstudenten aus 20 europäischen Ländern über die gesamten zwei Festivalwochen vor Ort.
Selbst und exklusiv zu produzieren: In Davos ist dies ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal im austauschbaren Festivalbetrieb. Und auch der Neue-Musik-Anteil ist hoch, denn Intendant Reto Bieri möchte das Festival mitten im Leben verankern und neue Publikumsschichten gewinnen. Weshalb er das Festspielmotto „Kreisverkehr“ bewusst dem Alltag entnahm, prägen Kreisverkehre doch viele Schweizer Orte – Davos etwa hat nicht eine einzige Ampel. Um eben dieses Motto ist dann das komplette Programm komponiert: Ging es 2015 um Wiederholungen und Zyklen, Abzweigungen und auch mal die eine oder andere Sackgasse, steht heuer die „Familienzone“ im Mittelpunkt.
Alp-Wanderung statt Events
Auch dieses Motto ist nicht im Dramaturgenkämmerlein konstruiert, sondern stammt aus dem Schweizerischen Bahnleben: Als „Familienzone“ sind dort manche Abteile gekennzeichnet, hier geht es nicht so streng zu und die Kinder dürfen sich austoben. Was Bieri gefällt, der das Motto indes gleich noch weiter spinnt: „Es geht bei Familienzone auch um musikalische Verwandtschaftsverhältnisse. Familie ist für mich ein vertrauter Grundakkord wie die Tonika, auf den sich vieles bezieht.“
So spielen auch Instrumentenfamilien und verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Komponisten dieses Jahr eine Rolle, daneben gibt es Kammerkonzerte und Open-Air-Veranstaltungen, eine musikalisch begleitete Festivalwanderung von der Schatzalp zur Stafelalp sowie für Kinder einen Hörgang in den Wald. Neu ist eine szenische Produktion: Joseph Weigls Oper Die Schweizer Familie. Auf die 1809 uraufgeführte und im 19. Jahrhundert sehr bekannte Oper war der Intendant in einer Schubert-Biografie gestoßen und hat für Davos nun eine eigene Kammeropernfassung schreiben lassen – ganz so, wie auch sonst jedes der Programme von ihm persönlich gedrechselt ist. Womit es dem Schweizer Klarinettisten schon nach zwei Sommern gelungen ist, die einheimische Bevölkerung stärker in die Festspiele einzubinden. „Ich möchte hier keine Events, sondern mit dem Festival das kulturelle Leben des Ortes bereichern: spektakuläre Langweile – und einen guten Rahmen für die Musik.“
Die Festivaldaten im Überblick:
Zeitraum: 6.-20.8.2016
Künstler: Frank Dupree, Esther Birringer, Theo Plath, Quatuor Ardeo, Asasello Quartett, Greta Staponkute u. a.
Ort: Davos
Was es im Bereich Festival außerhalb von Davos zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.