Ab nach Kassel: Drei Worte, die meist nichts Gutes verheißen. Denn wer diese Redewendung benutzt, die angeblich aus den 1770er Jahren stammt, will damit oft einen kategorischen Schlussstrich ziehen. Zum Beispiel, indem er ungebetene Gäste nach Hause schickt und zwar auf schnellstmöglichem Weg. Doch „Ab nach Kassel“ kann auch etwas ganz anderes, etwas Erfreuliches bedeuten. Zum Beispiel jedes Jahr Anfang November: Denn dann starten die Kasseler Musiktage.
Mittlerweile ist das Festival wieder fester Bestandteil des kulturellen Stadtlebens. Vor rund zehn Jahren sah das noch anders aus: Die Kasseler Musiktage standen vor dem klinischen Tod. Sie litten unter mangelndem Interesse und katastrophalen Besucherzahlen. Dieter Rexroth, der künstlerische Leiter des Festivals, verpasste den Kasseler Musiktagen daraufhin die dringend nötige Frischzellenkur. Das damalige Wochenend-Festival wurde auf zweieinhalb Wochen ausgedehnt, junge Künstler und Kompositionen wurden verstärkt ins Programm genommen, Uraufführungen gespielt und ein spannender Gegensatz zwischen Kammermusik- und Sinfoniekonzerten geschaffen. Nun sind die Kasseler Musiktage zurück – 2014 unter dem Titel „Immer Ende – Immer Anfang“.
„In jedem Ende lebt ein Anfang“, erklärt Dieter Rexroth – gerade Deutschland sei dafür ein gutes Beispiel. So erinnert das diesjährige Thema natürlich an den Weltkriegs-Ausbruch 1914 und dessen Folgen – dramaturgisch etwa in einem Konzert am 8. November aufgegriffen, wenn das Brahms-Requiem mit dem Psalm 130 Du fond de l’abîme der französischen Komponistin Lili Boulanger erklingt. Zudem stehen Duoabende für Klavier und Geige programmatisch im Mittelpunkt.
Konzeptionell das vielleicht ambitionierteste Projekt ist indes der zum zweiten Mal ausgerufene Kreativwettbewerb, der 2014 unter dem Motto „… über Gott und die Welt“ steht: Teilnehmen können hierbei Jugendliche ab der achten Klasse aus Schulen in Nordhessen und Südniedersachsen. „Gott und die Welt, das ist auf den ersten Blick eine triviale und recht pauschale Redensart“, räumt Dieter Rexroth ein. Doch wer genauer darüber nachdenke, entdecke in dieser Wendung „sehr aktuelle politische und gesellschaftliche Probleme“. Entsprechend gespannt ist er, was sich die Schüler zu dem Thema einfallen lassen, denn in der Gestaltung und Umsetzung ihres Projekts sind die Klassen völlig frei. „Wir wollen herausfinden, was die jungen Leute interessiert, was sie bewegt, was ihre Ängste oder Sorgen sind.“
Bei der Premiere 2013 hatte das Thema „Miteinander – Gegeneinander“ gelautet und für eine rege Teilnahme gesorgt. „Der Wettbewerb hat tierisch viel Spaß gemacht“, erinnert sich Juliane Voigt. „Unsere Klasse ist durch das Projekt noch viel enger zusammengewachsen.“ Gemeinsam mit ihrer Kameraden hatte die 15-Jährige bereits 2013 an dem Kreativwettbewerb teilgenommen und schwärmt noch heute davon: „Das Highlight war sicherlich unser Auftritt im Staatstheater in Kassel.“ In ihrem Projekt, zu dem die Schüler teilweise sogar selbst die Musik komponierten, zeigten sie verschiedene Formen des Mit- und Gegeneinanders: Angefangen von Konfrontationen in der eigenen Klasse bis hin zu Soldaten, die sich bekriegen, doch insgeheim am liebsten einfach friedlich zu Hause bei ihren Familien säßen. Eine höchst eindrucksvolle Idee, befand die Jury, für die die Musikklasse der Kirchhainer Alfred-Wegener-Schule am Ende neben dem Sonder- auch den Publikumspreis erhielt.
Die Festivaldaten im Überblick:
Zeitraum: 30.10. – 16.11.2014
Ort: Kassel
Künstler: Patricia Kopatchinskaja, Philippe Herreweghe, Kolja Blacher, Viviane Hagner, Mirijam Contzen, Reinhard Goebel, Armida Quartett u. a.
Termine und weiterführende Infos finden Sie hier.
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