Gleichmäßig gleiten die Skier durch die Loipe. Der Himmel ist eisklar, gleißender Sonnenschein lässt die Schneekristalle glitzern und funkeln. Eldris, die letzte Verpflegungsstation des Wasa-Laufes liegt hinter uns, neun Kilometer geht es nun noch durch die schwedischen Wälder bis zur Ankunft in Mora. Ein letztes Mal noch die tiefrote Blaubeersuppe zu sich genommen, deren reichlicher Traubenzuckerzusatz die Muskelverhärtung verhindern soll – und dann werden in einigen Wochen die 15 000 Läufer, oder zumindest jene, die bis dahin die 81 Kilometer vom Start in Sälen geschafft haben, noch einmal ihre letzten Kräfte für das nahe Ziel im Skistadion von Mora mobilisieren.
„Nein“, lacht der isländische Pianist Vikingur Ólafsson, „bislang habe ich noch nicht am Wasa-Lauf teilgenommen – ich bin da ein völliger Anfänger.“ Offenbar wird eben doch nicht jeder Skandinavier gleichsam auf Skiern groß … Nun, auch der Besucher aus Deutschland muss zugeben, sich mit der Schlussetappe des berühmtesten Ski-Langlauf-Wettbewerbs begnügt zu haben, der seit 1922 alljährlich stattfindet – zum Gedenken an den historischen Kraftakt im Jahr 1520. Damals nämlich waren zwei Skiläufer dem Adligen Gustav Erikson Wasa nachgeeilt, der zuvor in Mora vergebens um Unterstützung für seine Aufstandspläne gegen die dänischen Herrscher geworben hatte; 90 Kilometer weiter südlich in Sälen holten sie ihn ein, um ihm nun doch die Gefolgschaft der Einwohner Moras zu versichern. Gemeinsam glitten sie zurück, der dänische König wurde vertrieben und Wasa bestieg 1523 als Gustav I. den schwedischen Königsthron.
Schlittschuh und Bogen
Doch mögen demnächst auch schon die ersten Langläufer in Mora zum vorbereitenden Training eintreffen, zuvor wird hier noch ein „Vinterfest“ ganz anderer Art gefeiert – und in dessen Mittelpunkt steht die Musik. Seit 2006 lädt das 350 Kilometer nordwestlich von Stockholm gelegene 20 000-Einwohner-Städtchen zu diesem viertägigen Kammermusik-Festival, und seit erst der weltweit gefeierte Klarinettist Martin Fröst und seit diesem Jahr nun Ólafsson die künstlerische Leitung übernommen hat, geben sich hier deren nicht minder berühmte Musikerfreunde die Streicherbögen und Blasinstrumente in die Hand. Oder auch die Skier, wie sich der ehemalige „Vinterfest“-Direktor Staffan Becker mit noch immer leichtem Schaudern erinnert: Als Stargeigerin Janine Jansen unbedingt auf die Abfahrtspiste wollte, bat er sie, doch lieber bis nach ihren Konzerten zu warten … am Ende indes kam die Holländerin heil die Hänge hinunter, und am Abend jubelte das Publikum.
Etwas vorsichtiger war da ihre Kollegin Liza Ferschtman: „Spaziergänge im Schnee habe ich gern unternommen“, erinnert sich die temperamentvolle Holländerin, „doch beim Schlittschuhlaufen hatte ich immer ein wenig Angst um meine Hände.“ Dabei ist der direkt vor der Tür gelegene Siljansee zur Festivalzeit stets zugefroren, kann das Thermometer hier schon mal auf minus 25 Grad sinken oder ein Schneesturm die Bahnlinie nach Stockholm lahm legen. Dicke Jacken und Schuhe sind hier denn auch ebenso wichtig wie die richtigen Noten – obwohl die vier Streicher des Apollon Musagète Quartetts angesichts der klirrenden Kälte in ihrer polnischen Heimat über die Frage nach den ungewöhnlichen klimatischen Festival-Umständen nur schmunzeln konnten: „Das ist doch perfekt dort, man konnte sich wunderbar auf die Musik konzentrieren“, erinnert sich Primarius Pawel Zalejski. „Auf den Sommerfestivals fühlt man sich da immer ein wenig benachteiligt, wenn alle anderen baden oder in der Sonne liegen, während wir proben müssen.“ Zweifellos ist die Jahreszeit eher ein Vorteil: „50 Festivals gibt es allein in Schweden im Sommer – doch nur ein großes im Winter“, stellt die neue „Vinterfest“-Direktorin Karin Holdar fest.
So ist denn auch das knappe Dutzend Konzerte in Kirchen, Museen, Büchereien oder Hotelsälen fast immer ausverkauft, reisen die mehr als 3 000 alljährlichen Besucher aus allen Teilen des Landes, ja sogar aus Großbritannien und den Niederlanden an. Und auch seitens der Künstler folgt man der Einladung Ólafssons in den hohen Norden nur zu gern: „Jeder, der einmal hier war, möchte unbedingt wiederkommen – eine bessere Empfehlung für unser Festival können wir uns gar nicht wünschen“, freut sich der 31-Jährige. Was natürlich auch aus der ungemein freundlichen Betreuung seitens des „Vinterfest“-Teams und der familiären Atmosphäre im Festival-Hotel resultiert, wo sich die mitreisenden Ehepartner schon mal über die Frage „Stillen oder Fläschchen?“ für den Nachwuchs austauschen, kurzfristig ein Ski-Ausflug organisiert wird oder sich die Musiker zur gemeinsamen Mahlzeit treffen.
Aufbruch in „Neue Welten“
Um dann in „Neue Welten“ aufzubrechen: Denn unter eben dieses Motto hat Ólafsson sein erstes Festival-Programm mit Wal-Gesängen, Schubert und Schönberg, Ives und Cage gestellt. „Jedes Konzert soll einzigartig sein und doch gleichzeitig Teil eines größeren Ganzen.“ Große Pläne – allein die weiße Winterwelt und der Wasa-Lauf werden wohl noch länger auf einen Start Ólafssons warten müssen.
Die Festivaldaten im Überblick:
Zeitraum: 08.-21.02.2016
Künstler: Vikingur Ólafsson, Julien Quentin,Tai Murray, Michael Barenboim u. a.
Ort: Mora/Dalarna, Schweden
Was es im Bereich Festival zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.