Frischer Wind im Kammermusiksaal: Es war ein Herzensprojekt der Berliner Philharmoniker, zeitgenössische Musik einmal ohne Kompromisse in den Fokus zu nehmen. Daraus ist ein Mini-Festival mit dem griffigen Titel „Wochenende Neue Musik“ entstanden, das seine Premiere diesen Oktober haben wird. Mit mehreren Uraufführungen und Erstaufführungen. Erfreulich: Im Gegensatz zu herkömmlichen Programmen überwiegen diesmal Werke von Komponistinnen. Es wurde auch Zeit, schließlich haben sich Frauen nach Jahrhunderten weitgehender Zurückweisung in den letzten fünfzig Jahren endlich die Männerdomäne Komposition erobern können. Neben berühmten Meisterinnen der Zunft wie Unsuk Chin und Sofia Gubaidulina ist auch die jüngere Generation vertreten. Zum Beispiel die Berliner Komponistin Zeynep Gedizlioğlu, 1977 in Izmir geboren, Trägerin des Großen Kunstpreises Berlin 2019.
Risse in der Musik
Motor ihres Schaffens ist die Untersuchung von Kommunikation in der Musik. Zeynep Gedizlioğlu verhandelt etwa sehr sensibel und eindrucksvoll Dialoge zwischen den Instrumenten. Welche Nachklänge bewirkt ein bestimmter Impuls? Wie interagieren verschiedene Linien im Gefüge? Welche unterschiedlichen Artikulationsarten können sich gegenseitig kommentieren? Solche Fragen beschäftigen die Komponistin. Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in der Kommunikation erforscht sie auch in ihrem neuestem Werk „RISS“ für Ensemble und Sprecherin, das Zeynep Gedizlioğlu als Auftragswerk für das Wochenende Neue Musik geschrieben hat. Das gesprochene Wort trifft auf Klarinette, Fagott, Horn und Streichquintett. In „RISS“ gehe es um „eine Spaltung, die das Stück auf eine Art durchlöchert, indem zugleich eine Form von Begegnung, vielleicht eine Konfrontation stattfindet“, erklärt die Komponistin. Das Scharoun Ensemble Berlin, alles Mitglieder der Berliner Philharmoniker, und die Schauspielerin Martina Gedeck bringen das Stück am 10. Oktober zur Uraufführung.
Abzweigungen der Träume
Der Generation von Gedizlioğlu gehört auch Milica Djordjević an, 1984 in Belgrad geboren, ebenfalls Wahl-Berlinerin. Im Zusammenhang mit ihren Werken fallen oft Begriffe wie „rau“, „roh“, „körnig“. Kräftige Gesten, dicht gebündelte Strukturen, energiegeladene, sinnlich unmittelbar erfahrbare Dramatik, brüske Umbrüche, Kontraste, das prompte Hinterfragen des Behaupteten, das macht den dialektischen Reiz ihrer Musik aus. Milica Djordjević hat dieses Jahr den Claudio-Abbado-Kompositionspreis der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker erhalten und war gerade mit einer Uraufführung beim Musikfest Berlin vertreten. Sie steht ebenfalls am „Wochenende Neue Musik“ auf dem Programm: mit „Pod vodom raskršć a snova“, einem Stück aus dem Jahr 2019 für Klarinette, Cello und Klavier. Der poetische serbische Titel bedeutet auf Deutsch „Unter Wasser Abzweigungen der Träume“. Prägnante Gesten brechen hier aus Klangfeldern aus, Klang kann in Geräusch umschlagen oder an die Grenzen des Hörbaren stoßen. Die Klarinette spielt mitunter ohne Rohrblatt, das Violoncello zuweilen am unteren Ende der Saiten. Dies alles führt zu überraschenden Farbnuancen. Solche und weitere Entdeckungen erlauben die Konzerte am „Wochenende Neue Musik“. Zudem ist mit dem hochkarätigen Arditti Quartet als Gastensemble auch noch ein echter Coup gelungen: Die berühmten Kollegen sind zu diesem Anlass endlich einmal wieder im Haus.