Sie kennen unser Klavierfestival nicht?“ Die Bäckereiangestellte mustert das Urlauberpaar überrascht, während sie eine Papiertüte Brioches und ein Baguette über die Verkaufstheke reicht. „Die meisten Gäste kommen ja extra deswegen nach La Roque, wissen Sie!“
Einen Besuch wert ist das hübsche 5000-Einwohner-Städtchen in der Nähe von Aix-en-Provence auch ansonsten. Schließlich gibt es hier nicht nur verwinkelte Gassen, den Fluss Durance und die Ausläufer des Luberon, sondern auch das Zisterzienserkloster Abbaye de Silvacane von 1144 und den Parc du Château de Florans, dessen 365 uralte Platanen und zahlreiche Mammutbäume ein Renaissanceschloss umgeben, in dem sich heute eine private Rehaklinik befindet. Wer jedoch zum „Festival International de Piano“ anreist, bekommt diese Attraktionen sozusagen auf dem Silbertablett: Schon zum 34. Mal bieten Park und Abtei dieses Jahr der internationalen Pianistenelite und seit 1998 auch Nachwuchs-Kammermusikern „in residence“ eine Bühne.
Ein Schloss, ein Kloster, ein Park – die richtige Inspiration für ein Festival
Angefangen hat alles 1957 mit dem Kauf des Schlosses durch Paul Onoratini. Umtriebig, musikbegeistert und ab 1959 Bürgermeister der Gemeinde, installierte er 1971 zunächst einen Kammermusikzyklus im romanischen Zisterzienserkloster. Mit dem Musikmanager René Martin aus Nantes, der ein paar Jahre später die Gegend nach einem Standort für ein neues Klavierfestival absuchte, war Onoratini gleich auf einer Wellenlänge. Der Park inspirierte beide: „Man bringt die Musik dahin, wo sie geboren ist – in die Natur, die große Inspirationsquelle der Komponisten“, beschreibt Martin seine Philosophie als künstlerischer Leiter des Festivals. Inzwischen arbeitet er mit Jean-Pierre und Michel Onoratini zusammen, den Söhnen des 2010 verstorbenen Paul. Seit der ersten Auflage 1981 ist der Park von Mitte Juli bis Mitte August ein wahres „Mekka der Pianisten“. Martha Argerich, Swjatoslaw Richter, Radu Lupu, Nelson Freire, Daniel Barenboim, Katia und Marielle Labèque, Christian Zacharias – sie und viele andere haben bereits in der platanenumstandenen Konzertmuschel inmitten eines großen Bassins am Flügel gesessen oder vor einem Orchester gestanden. Im Laufe der Jahre wurden nämlich nicht nur die ansteigenden Sitzreihen für das Publikum immer wieder erweitert, sondern auch der Bühnenbereich vergrößert, so dass nun selbst Kammerorchester Platz finden. Zur ersten Konzertmuschel kam eine zweite, zu den zentralen Auftrittsorten Park und Abtei eine ganze Reihe Spielorte in der Umgebung bis nach Aix.
Publikum aus aller Welt
Dorthin, genauer ins Musée Granet im Quartier Mazarin, werden dieses Jahr zum Beispiel Geigerin Antje Weithaas, Cellist Jean-Guihen Queyras sowie Klarinettist und Komponist Jörg Widmann den Pianisten Florent Boffard als „Botschafter“ des Festivals von La Roque begleiten und mit Werken von Widmann und Messiaen ein „imaginäres Museum der Musiker“ schaffen. Zwischen dem 8. und 14. August öffnet tagsüber außerdem wieder das „conservatoire de plein air“, die „Freilufthochschule“, mit öffentlichen Meisterklassen im Park. Das Publikum, einheimisch und aus aller Welt, stärkt sich derweil bei Picknick unter Bäumen für den Abend mit Beethoven, Bach oder Chopin. Im Ort spricht übrigens bei weitem nicht nur die Dame in der Bäckerei von „unserem“ Festival. Ob Klavierstimmer, freiwillige Helfer oder diejenigen, die als Gastgeber den Künstlern ihre Türen öffnen – viele sind „habitués“, Freunde und Unterstützer der ersten Stunde. Ausdauernder sind eigentlich nur die Zikaden. Die jedoch singen gänzlich unbeeindruckt von dem riesigen künstlerischen Angebot der 75 Konzerte ihr eigenes Lied.
Die Festivaldaten im Überblick:
Zeitraum: 18.7. – 17.8.2014
Ort: La Roque d’Anthéron
Künstler: Leif Ove Andsnes, Renaud Capuçon, Marc-André Hamelin, Ton Koopman, Alice Sara Ott, Daniil Trifonov u. a.
Was es im Bereich Festival außerhalb von La Roque zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.