Die Musikstadt Leipzig setzt pulsierende Bezüge zu Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Clara und Robert Schumann, Richard Wagner und vielen anderen, die in Leipzig gelebt und gewirkt haben. Als Musikmetropole begeistert sie mit hochkarätigen Festivals wie dem jährlich stattfindenden Bachfest Leipzig und den Mendelssohn-Festtagen. Bis heute besteht hier eine nachhaltige und weltweit ausstrahlende Musikpflege in enger Anbindung an die Säulen Gewandhaus, Thomaner und Oper. Den Kalender bereichern im jährlichen Wechsel die Gewandhausfesttage und die Festtage der Oper Leipzig. Basis für dieses intensive Musikleben ist eine äußerst bewegte Vergangenheit: In Leipzig verbrachte Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) als Kantor der Thomaskirche und der Nikolaikirche 27 Jahre seines Lebens. Bei der Leipziger Disputation 1519 duellierte sich Martin Luther rhetorisch mit dem katholischen Theologen Johannes Eck. Die Völkerschlacht bei Leipzig wird 1813 zu einem weichenstellenden Ereignis der europäischen Geschichte. Als Gewandhauskapellmeister und Gründer des Konservatoriums wirkte hier Felix Mendelssohn Bartholdy, der Bach für das 19. Jahrhundert wiederentdeckte. Jenseits der Maximen einer historisch informierten Aufführungspraxis existiert eine eigenständige Traditionslinie für mitteldeutsches Barockrepertoire. Diese ist heute eingebunden in die von Klassikfans aus der ganzen Welt besuchte und geschätzte Festival-Folge.
Der Choral im Fokus
Gleich mehrere Jubiläumsstränge kommen beim Bachfest Leipzig 25 Jahre nach seiner Gründung mit dem Motto CHORal TOTAL zusammen. Vor 500 Jahren veröffentlichte Martin Luther das erste evangelische Gesangbuch mit einer Sammlung von Chorälen, darunter auch eigene. Unter dem Siegel „Bach 300“ feierte man in Leipzig 2023 den Amtsantritt Bachs und dessen ersten Leipziger Kantatenjahrgang 1723/24. Die Reihe „Choralkantaten-Zyklus“ überwölbt deshalb vom 7. Juni bis 16. Juni mit bis zu vier Konzerten an einem Tag das Bachfest Leipzig 2024. Schon 2020 sollten unter dem Motto „BACH – We are FAMILY!“ Bach-Chöre aus aller Welt den gesamten „Choralkantaten-Jahrgang“ aufführen. Diese 66 Kantaten brachte Thomaskantor Bach weitgehend in seiner zweiten Leipziger Kantaten-Saison, ab Juni 1724, zu Papier.
Unter dem Motto CHORal TOTAL reisen zahlreiche Chöre zum Bachfest 2024 nach Leipzig. Zu den Interpreten der Konzerte gehören Eliten der Bach-Interpretation wie Chorus Musicus und Das Neue Orchester unter Christoph Spering oder Amsterdam Baroque Orchestra & Choir unter Ton Koopman, Präsident des Leipziger Bach-Archivs. Begeisterte Chorsänger:innen aus aller Welt kommen in Leipzig für einen Kantaten-Gottesdienst am 16. Juni in der Thomaskirche zusammen. Im „Fokus Choral – Bach, Mendelssohn, Brahms“ mit der Gaechinger Cantorey und dem Freiburger Barockorchester unter Hans-Christoph Rademann am 15. Juni und in „Choral-Metamorphosen von Luther bis Bach“ mit Capella de la Torre unter Leitung von Katharina Bäuml am 9. Juni erklingen Choral-Sätze aus über fünf Jahrhunderten.
Ein bedeutendes Jubiläum
Zudem feiert man den 300. Jahrestag der Uraufführung von Bachs „Johannes-Passion“, welche am Karfreitag 1724 in der Nikolaikirche erstmals erklungen war. „Johannes-Passion barrierefrei“ mit dem Ensemble Sing & Sign und der Gebärdensolistin Andrea Schmertztorff gehört auf der BachStage am ersten Eröffnungstag zu den Höhepunkten. Das Mitsingen und Mitgebärden der Choräle durch das Publikum auf dem Leipziger Markt gelangt via Live-Stream in die ganze Welt. Thomaskantor Andreas Reize spielte vor kurzem die erste Fassung mit dem Thomanerchor in kleinerer Besetzung und der Akademie für Alte Musik ein. In gleicher Kombination erklingt sie mit Thomasorganist Johannes Lang am 13. Juni. Aufführungen der Passionen Bachs und seiner Zeitgenossen sind ein regelmäßiger Schwerpunkt des Bachfests. Am 8. Juni gastiert Collegium Vocale 1704 und Collegium 1704 unter Václav Luks mit der „Matthäus-Passion“ in der Thomaskirche.
Die Geigerin Chouchane Siranossian ist Artist in Residence des Bachfest Leipzig 2024. Im Eröffnungskonzert spielt sie Alban Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ mit dem Gewandhausorchester unter Andreas Reize. Im Kammerkonzert „Bach before Bach“ mit Leonardo Garcia Alárcon präsentiert die französisch-schweizerische Künstlerin italienische und österreichische Werke des 17. Jahrhunderts, die Bach inspirierten und setzen sie zu dessen Ouevre in Beziehung. Sie tritt in drei Bachfest Lounges der Komponisten-Häuser Bach, Mendelssohn und Schumann auf.
Bach in der Oper
Einen außerordentlichen und überraschenden Höhepunkt setzt auch die „Oper, die Bach nie geschrieben hat“, am 16. und 17. Juni in der Oper Leipzig. Auf ein Libretto von Thomas Höft haben das Ensemble OPERA2DAY und die Nederlandse Bachverenigung Fragmente aus Werken Bachs „zusammengewebt, als wäre Bach ein neuromantischer Komponist, der die barocken Formen aufgegeben hat“. Der von Florian Sievers verkörperte Evangelist spricht melodramatisch, als hätte er sich in ein Stück von Brecht verirrt. Es geht um den Fanatismus der Münsteraner Wiedertäufer – „mit heutigen Verirrungen enggeführt“.
Bachfest-Intendant Michael Maul ist nicht nur hier auf der Suche nach Bezügen Bachs zu unserer Gegenwart. Ende April launchten Radio MDR Klassik und Bach-Archiv einen Podcast, in dem Maul mit Moderatorin Grit Schulze und Personen aus verschiedenen Berufsgruppen über den rasanten Leipziger Alltag von Johann Sebastian Bach diskutiert. Es ist nicht der geringste Reiz des Bachfest Leipzig: Viele von Bachs Kantaten und Instrumentalstücken sind Laienmusikern in aller Welt vertraut. In Leipzig fühlt man sich dem Komponisten, dessen gigantisches Werk von zwei Leipziger Kantaten-Jahrgängen nur die Spitze eines riesigen Vermächtnisses ist, generell ein bisschen näher. Anspruch, Traditionsbewusstsein und Ambitionen für die Zukunft befinden sich im Gleichgewicht. Und es ist bereits eine schöne Tradition, dass Michael Maul am vorletzten Tag jedes Bachfests bereits das Programm des Folgejahrs vorstellt. Die in der Thomaskirche immer den festlichen Schlusspunkt setzende Aufführung der h-moll-Messe erklingt diesmal mit Collegium Vocale Gent unter Philippe Herreweghe.