Andere Operndiven beginnen früh, an der Verklärung der eigenen Vergangenheit zu arbeiten – und betreiben Denkmalspflege in eigener Sache. Birgit Nilsson hingegen begann früh, den sängerischen Nachwuchs in seinem kontinuierlichen persönlichen Wachstum zu unterstützen. Sie hatte die Zukunft der Oper im Blick – und dies bereits, als sie zwar auf dem Höhepunkt ihres Ruhms als bedeutendste Hochdramatische ihrer Zeit angekommen war, sich Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper und Bayerische Kammersängerin nennen durfte. Aber anno 1973, als sie erstmals ein Stipendium vergab, war an das Ende ihrer eigenen legendären Karriere zwischen Bayreuth, Wien und New York noch lange nicht zu denken. Vor genau 50 Jahre also begründete La Nilsson eine Tradition der Förderung, in deren Genuss mittlerweile 46 Sängerinnen und Sänger aus ihrer schwedischen Heimat gekommen sind. Dazu zählen Hillevi Martinpelto, Nina Stemme, Anna Larsson, John Lundgren und Malin Byström, die hernach alle ihre großen internationalen Erfolge auf den Opernbühnen feiern konnten.
Birgit-Nilsson-Stipendium 2023 für die schwedische Mezzosopranistin Ida Ränzlöv
Exakt an Birgit Nilssons Geburtstag, – sie wäre am 17. Mai 105 Jahre jung geworden – wurde nun die aktuell Ausgezeichnete bekannt gegeben. Es ist die Mezzosopranistin Ida Ränzlöv, die als Förderung 200 000 Schwedische Kronen erhält, ein Betrag, der rund 18 000 Euro entspricht. Die junge Sängerin studierte an der Malmö Academy of Music sowie am Royal College of Music Opera Studio in London, wo sie 2018 graduierte. Als Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart war sie jüngst als Orlofsky (Die Fledermaus) und Rosina (Il Barbiere di Sevilla) zu erleben. Im Sommer 2022 gastierte sie als Cherubino (Le Nozze di Figaro) beim prestigeträchtigen südenglischen Glyndebourne Festival. Ida Ränzlöv wuchs in Helsingborg auf, „nicht weit von Birgit‘s Svenstad“, sagt sie mit Freude und Dankbarkeit: „Ich besuchte ihren Bauernhof, der nun ein Museum ist, und besuchte eine Masterclass, die ihren Namen trägt. Birgit Nilsson war immer eine große Inspiration und ein Rollenmodell für mich, nicht nur musikalisch, sondern auch, da sie als Bauertochter all das erreichen konnte. Ich empfinde eine starke Verbindung zu ihr.“ Die im Namen Nilssons mit dem Stipendium Geehrte sieht konkrete Möglichkeiten, sich gezielt weiterzuentwickeln: „Manche neue Rollen kann man für sich selbst vorbereiten. Aber wenn man einen Wagner-Spezialisten konsultieren will oder mit einem tschechischen Sprach-Coach arbeiten möchten, dann braucht man Unterstützung. Im Sinne einer Stärkung meiner Karriere, ist das Stipendium ein Geschenk des Himmels.“
Giacomo Puccinis „Tosca“ konzertant auf den Ländereien von Birgit Nilssons Vater
Überreicht wird das Stipendium am 11. August in der Kirche von Västra Karup, wo die Nilsson selbst oft auftrat und zu ihren Lebzeiten die Stipendien auch oft persönlich vergab. Ida Ränzlöv wird sich mit einem Rezital, das der bedeutende schwedische Pianist und Lied-Partner Magnus Svensson mit ihr gestalten wird. Das Konzert ist Teil der Birgit Nilsson Tage, die alljährlich und in 2023 zum sechsten Mal im August Opernfans aus aller Welt wie die einstigen Nachbarn der Nilsson an ihrem Geburtsort versammeln: in diesem Jahr vom 6. bis 12. August. So wird die große schwedische Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter einen Meisterkurs geben und das Können der Teilnehmer am 10. August in einem Abschlusskonzert präsentieren. Und auf einer weiten Wiese der Ländereien von Nilssons Vater wird erneut eine Open Air-Bühne installiert, auf der in diesem Jahr Giacomo Puccinis „Tosca“ konzertant am 12. August zur Aufführung gelangt. Die libanesisch-kanadische Sopranistin Joyce El-Khoury tritt in Nilssons Fußstapfen und gibt die Titelpartie, der amerikanische Tenor Michael Fabiano singt den Maler Cavaradossi, der schwedische Heldenbariton John Lundgren gestaltet den sadistischen Scarpia. Pier Giorgio Morandi dirigiert das Helsingborg Symphony Orchestra. Just dem toskanischen Komponisten des Verismo ist auch das Thema der neuen Ausstellung des Birigit Nilsson Museums gewidmet, die bereits am 27. Juni eröffnet wird: „Puccini, Passion and Art“. Ob darin auch jener berühmte Satz der Nilsson zitiert wird, der ihren enormen Humor offenbart? Die Heroine des hochdramatischen Gesangs offenbarte einst: „Wagner machte mich berühmt, Puccini machte mich reich.” Schließlich konnte La Nilsson die Kurzstreckenpartie der Turandot von Puccini mit den gefürchteten Hohen Cs mehrmals die Woche singen, wohingegen Wagners Marathonrollen der Brünnhilde oder Isolde für die Mitwirkenden deutlich längere Ruhepausen zwischen den Vorstellungen erfordern.
Wer die Birgit Nilsson Tage und das ihrem Leben gewidmete Museum auf der lauschigen Bjäre Halbinsel in Südschweden besucht, kann freilich noch viel mehr entdecken – und beispielsweise in der bezaubernden Landschaft den Birgit Nilsson-Pfad betreten, auf dem an Stationen Hörbeispiele der Sängerlegende mit biographischen Besonderheiten zumal ihrer Jugend verknüpft sind. Auch ihr Elternhaus gleich auf dem Museumsgelände ist original erhalten und einen Besuch wert, offenbart es doch neben der Einrichtung und allerhand Familienfotos auch die sowohl musikalisch fachliche wie erotisch pikante Sommerlektüre der Künstlerin, die gern ihre freien Wochen auf dem Bauernhof der Familie verbrachte. Das Vermächtnis der Nilsson ist nirgends so greifbar und lebendig wie hier: eben nicht als Verklärung der Vergangenheit, sondern als Versprechen für die Zukunft der Oper.
Birgit Nilsson Tage 2023
10. August 2023, 18:00 Uhr
Master Class Konzert
Birgit Nilsson Hall, Ravinen Cultural Centre, Båstad
11. August 2023, 18:00 Uhr
Stipendium Award Ceremony & Recital
Ida Ränzlöv (Mezzosopran)
Magnus Svensson (Klavier)
Västra Karup Kirche
12. August 2023, 18.00 Uhr
Puccini: Tosca
Joyce El-Khoury (Tosca), Michael Fabiano (Cavaradossi), John Lundgren (Scarpia), Pier Giorgio Morandi (Leitung)
Open Air, Birgit Nilsson Museum