Fast 7.000 Zuschauer werden im Sommer abends das Spiel auf dem See erleben. Wie sehr erfüllt Sie das mit Freude?
Elisabeth Sobotka: Wir durften bereits letztes Jahr unter 3G-Bedingungen und ohne Maske mit voller Auslastung spielen. Normalität ist in der heutigen Zeit ein schwieriges Wort, aber wir gehen davon aus, dass es in diesem Sommer keine Einschränkungen geben wird und die Besucher ganz normale Festspiele erleben werden können.
Was verbindet das diesjährige Festspielprogramm?
Sobotka: Ein Programm ist wie ein Gewebe, wo man mit den großen Fäden – das Stück am See und der Hausoper – beginnt und sich alles andere daraus entwickelt. Die zwei großen Opern bedingen sich inhaltlich, ohne dass es ein Motto gibt: Sie sind zur selben Zeit entstanden. Die eine wurde anstelle der anderen uraufgeführt, beide beschäftigen sich mit einem fremden Ort, nämlich Japan und Russland, was sich in ihrer Musik niederschlägt. Wir haben überlegt, wie sich Puccinis Sicht mit der heutigen Perspektive einer Japanerin ergänzen lässt und sind so auf das Koto-Konzert gekommen. In „Musik und Poesie“ präsentieren wir zeitgenössische japanische Musik und Literatur. So verwebt sich das Ganze.
Was war zuerst geplant: Puccini oder Giordano?
Sobotka: Witzigerweise beide gleichzeitig. Ich habe im Radio die Aufführung von „Sibirien“ aus Montpellier gehört und war sofort begeistert. Es ist eine große italienische Verismo-Oper, und mich verwundert, dass sie fast nie gespielt wird. „Madame Butterfly“ lag auf dem Silbertablett: eines der am häufigsten gegebenen Werke der Opernliteratur, das noch nie am See gewesen ist. Ich habe Andreas Homoki gefragt, ob er Puccini für uns inszenieren möchte. Seine Antwort: Für ihn gehe damit ein langgehegter Traum in Erfüllung.
Wie passt „Madame Butterfly“ als intimes Kammerspiel auf die riesige Seebühne?
Sobotka: Man hat Puccinis Musik lange Zeit vorgeworfen, sie sei zu sentimental. Ich habe in ihr schon immer großes Können gesehen. „Madame Butterfly“ ist farbig und detailreich instrumentiert, die Musik reicht von zarten Momenten bis hin zu großen emotionalen Ausbrüchen. Diese Wirkmächtigkeit, der ich mich auch persönlich nicht entziehen kann, erhält durch den See einen unglaublichen Raum. Für Regisseur Andreas Homoki kommt es nicht darauf an, wie viele Menschen auf der Bühne stehen, sondern wie man Spannung erzeugt. Ein Sänger allein in der Konfrontation mit 7.000 Zuschauern tut das. Hinzu kommt das fantastische Bühnenbild mit dem Blatt Papier, das sozusagen als Transportmittel der Geschichte in den See geworfen wird und mit der Tribüne eine Einheit bildet. Ich glaube, diese Kombination schafft einen Sog, dem sich keiner entziehen kann.
Was zeichnet Giordanos „Sibirien“ aus?
Sobotka: Die wirklich tollen Partien für die Sängerinnen und Sänger! „Sibirien“ hat eine klassische Opernhandlung, wie man sie aus „Manon Lescaut“ oder „Lady Macbeth von Mzensk“ kennt. Schostakowitsch und Giordano haben angeblich eine gemeinsame literarische Vorlage genutzt. Mich hat Giordanos Kniff interessiert, wie er aus einer fremden Kultur und einer fremden Geschichte den Stoff für eine Oper gewinnt. Das Werk stellt auch die Regie vor die schwierige Aufgabe, in einem Opernhaus zu herrlicher italienischer Musik ein Straflager darzustellen. Vasily Barkhatov wird im Festspielhaus nicht das Straflager bebildern, sondern die Geschichte einer Person, die ihre Vergangenheit sucht.
Wie fügen sich die beiden zeitgenössischen Projekte auf der Werkstattbühne in die Festspiele ein?
Sobotka: Unser Alleinstellungsmerkmal ist die Vielfalt vom Klassiker auf dem See bis zum neu gedachten Musiktheaterwerk. Wir müssen nicht bewerten und haben das Glück, durch die Einnahmen aus dem Spiel am See andere Projekte fördern zu können. Johannes Kalitzkes „Kapitän Nemos Bibliothek“ ist eine relativ klassische Literaturvertonung, Brigitta Muntendorf spielt in ihrer „Melancholia“ mit neuen Medien. Sie ist eine gefragte Komponistin und hat zudem Vorarlberger Bezüge: Ihre Mutter sang früher im Festspielchor.
Auch Cellist Kian Soltani ist in Vorarlberg aufgewachsen.
Sobotka: Wir freuen uns sehr auf sein Debüt. Vorarlberg ist eine lebendige Gegend für Musikerinnen und Musiker. Kirill Petrenko hat hier studiert und später seinen Mahler ausprobiert. Das verbindet das Land und Bregenz mit der Welt.
Sie haben 2015 zu Beginn Ihrer Intendanz das Opernstudio gegründet. Wie hat sich das entwickelt?
Sobotka: Mein Wunsch war damals, dass junge Künstlerinnen und Künstler nicht, wie sonst üblich, in kleinen Nebenrollen eingesetzt werden, sondern dass sie große Repertoirestücke in einem geschützten, professionellen Rahmen erarbeiten. Das ist uns gelungen. Der Zusammenhalt in der Gruppe und die Hilfe untereinander sind jedes Jahr enorm. Dadurch geht von der Bühne eine unglaubliche Energie aus, die auch das Publikum spürt. Letztes Jahr mussten wir die von Brigitte Fassbaender inszenierte „Die Italienerin in Algier“ am Vorabend der Premiere aufgrund eines Corona-Falls absagen. Es freut mich sehr, dass dieses Jahr bis auf eine Sängerin alle Künstler wiederkommen können. Da wir trotz Corona keine finanziellen Probleme haben, gibt es mit Haydns „Armida“ erstmals auch eine zweite Opernstudioaufführung.
Im Opernatelier arbeiten die Komponistin Éna Brennan, Ihr Vorgänger David Pountney und der bildende Künstler Hugo Canoilas zusammen an einer neuen Oper, die 2024 uraufgeführt werden soll. Was können Sie darüber erzählen?
Sobotka: Die Idee dahinter ist, dass das Publikum nah an der Entstehung des neuen Werkes dabei ist. An einem Abend im Januar haben die drei Künstler einen ersten Einblick gegeben und dabei öffentlich nach dem Setting für das Musiktheaterstück gesucht. Plötzlich wurde ein Oktopus zum Thema. Wussten Sie, dass dieses Tier in jedem Tentakel ein Hirn und eine Gefühlszentrale hat? Derzeit beschäftigt die drei die Frage, wie dieses Wesen, das sich zugleich vereinzelt und zusammengehört, als Inspiration für das neue Werk dienen kann. Dadurch, dass es im Opernatelier keinen eindeutig definierten Kompositionsauftrag gibt, entsteht eine andere Dynamik. Ich glaube nicht, dass wir einen Oktopus auf der Bühne sehen werden, aber wer weiß, der Weg bis dahin ist noch lang.
An Ostern war das Wiener Burgtheater zu Gast, im Sommer kommt das Deutsche Theater Berlin zu den Festspielen. Wie passt klassisches Sprechtheater zu einem Musikfestival?
Sobotka: Bis zu einer finanziellen Schwierigkeit in den 2000er-Jahren hatte das Burgtheater seit Gründung der Festspiele jedes Jahr bei uns gastiert. In Bregenz fehlt die eine große Sprechbühne, und ich wollte von Anfang an die lokale Sprechtheaterszene wieder mit mehr Leben erfüllen. Im April 2021 war Vorarlberg das einzige Land Österreichs, in dem Theateraufführungen vor Publikum erlaubt waren, und so kam das Burgtheater mit einer Vorpremiere zu uns. Ein bewegender Moment. Für die Zukunft wollen wir zwei Schauspiele etablieren, eines im Sommer und das Burgtheater im Frühling.
Worauf freuen Sie sich in dieser Spielzeit besonders?
Sobotka: Dass das Festspiel-Feeling wiederkehrt, dass Menschen wieder ohne Furcht zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu erleben. Die Kommunikation zwischen Bühne und Zuschauern kann durch digitale Angebote nicht ersetzt werden. Ich freue mich darauf zu spüren, wie 7.000 aufmerksame Menschen eine Opernaufführung miterleben werden.