„Alles, was uns begegnet, hinterlässt Spuren“, konstatiert Goethes Wilhelm Meister. Insofern sind auch Livekonzerte eine prägende Form, versammeln sich hier doch Menschen, um gemeinsam die Klänge zu erleben, die just von der Bühne ausgehen. Die 46. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik bieten unter ihrem Leitmotiv „Begegnungen“ vom 12. Juli bis 28. August mehr als fünfzig Gelegenheiten, Menschen und Musik zu treffen, ob bei der Oper im Landestheater, im Festkonzert auf Schloss Ambras oder hoch oben am Berg auf verschiedenen Almen.
Geigerszene traf sich einst am Innsbrucker Hof
Das vielseitige Festivalprogramm reicht von Schätzen der Frührenaissance bis zum Aufeinandertreffen von Barockorchester und Rockband. Im Mittelpunkt stehen jedoch Werke des 17. und 18. Jahrhunderts, interpretiert in historischer Aufführungspraxis. Im Barock gehörte der Innsbrucker Hof zu den bedeutendsten Adressen im Geigenbau. Virtuosen wie Giovanni Buonaventura Viviani und Heinrich Ignaz Franz Biber reisten dorthin zum Austausch mit Geigenbaumeister Jakob Stainer. Bei den Ambraser Schlosskonzerten, die die Festwochen traditionell eröffnen, begibt sich Ars Antiqua Austria auf die Spuren der damaligen Geigerszene. Wie ein Treffen der Komponisten Domenico Scarlatti und Jean-Philippe Rameau in Pariser Salons abgelaufen sein könnte, zeichnen Le Caravansérail und Sopranistin Rachel Redmond nach. Die Blockflötistin und Violinistin Anna Fusek erforscht hingegen das „Stimmengewirr“ um 1600, als Komponisten von der Polyfonie zur Continuo-Praxis übergingen. Begleitet wird sie in diesem Konzert von Harfe, Theorbe und Laute.
Mehr als 600 Kleriker und Adelige versammelten sich zwischen 1414 und 1418 zum Konzil in Konstanz. Dabei brachte jede Partei ihre eigene Kapelle mit. La fonte musica ergründet mit „Constantia“ diesen frühen europäischen Transfer. Zu Zeiten Heinrich Schütz’ galt Norditalien als wichtiges Musikzentrum. Les Arts Florissants und Paul Agnew spielen aus dem ersten Madrigalbuch und ergänzen es mit Werken von Giovanni Gabrieli und Claudio Monteverdi. Händels „Messias“ ist ein Evergreen unter den Oratorien, das seinen Erfolg auch einer bewegten Rezeptionsgeschichte verdankt. 1768 wurde es etwa in einer italienischen Übersetzung in Florenz aufgeführt. Lange Zeit galt diese Fassung als verschollen, Intendant Alessandro De Marchi und das Festwochenorchester bringen „Il Messia“ erstmals wieder zu Gehör.
Opern-Raritäten mit verhängnisvollen Bündnissen
In puncto Musiktheater haben die Veranstalter drei selten aufgeführte, auf italienisch gesungene Juwelen der Barockoper geplant, deren Protagonisten allesamt „verhängnisvolle Bündnisse“ eingehen müssen. In Carl Heinrich Grauns „Silla“, basierend auf einem Drama des Preußenkönigs Friedrich II., ist es der römische Diktator Lucius Cornelius Sulla, der unerwartet abdankt. Die derzeit gefragten Countertenöre Bejun Mehta und Valer Sabadus übernehmen zwei der insgesamt vier einst für Kastraten komponierten Partien. Am Pult steht Alessandro De Marchi, der deutsche Regisseur Georg Quander inszeniert nach 2018 seine zweite Oper in Innsbruck.
Carlo Pallavicino wiederum schickt „L’amazzone corsara“, die gelangweilte junge Königstochter Alvilda, auf eine Reise als Freibeuterin. Bei ihren Abenteuern trifft sie auf König Alfo, der sie erst im Kampf, später in der Liebe besiegen wird. Luca Quintavalle dirigiert, Alberto Allegrezza führt die Regie. Unter den Sängern befinden sich Finalist*innen des vergangenen internationalen Gesangswettbewerbs für Barockoper Pietro Antonio Cesti. Auch die diesjährigen Wettbewerbsteilnehmer*innen sind während der Festwochen zu hören: Beim Abschlusskonzert mit dem Barockorchester:Jung unter Leitung von Chiara Cattani stehen Arien aus Antonio Vivaldis „La fida ninfa“ auf dem Programm.
Zu Lebzeiten erfreute sich Giovanni Bononcinis „Astarto“ enormer Beliebtheit auf den Opernbühnen von London und Rom. Der Plot spielt im libanesischen Tyros, das seit dem dritten Jahrtausend vor Christus durchgehend besiedelt ist. Zur Aufführung wird erstmals die rekonstruierte Londoner Urfassung von 1720 kommen. Die musikalische Leitung des Enea Barock Orchestra und des hochkarätig besetzten Ensembles hat Stefano Montanari. Es inszeniert Silvia Paoli, die zuletzt mit „L’empio punito“ von Alessandro Melani für Aufsehen bei den Festwochen sorgte.