Das Internationale Brucknerfest Linz kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Was zeichnet das Festival heute aus?
Dietmar Kerschbaum: Das Brucknerhaus selbst ist im Jahr 1974 mit einer für eine Industriestadt wie Linz schon damals herausragenden Architektur gebaut worden. Ab diesem Zeitpunkt hat sich die Stadt architektonisch und kulturell unglaublich entwickelt. Für mich war das Brucknerfest selbst allerdings ein bisschen ins Abseits geraten. Man hatte zu wenig Wert auf den Genius Loci Anton Bruckner gelegt. Natürlich ist sein Œuvre nicht sehr umfangreich, aber trotzdem war er wegweisend und hat in der Geschichte vieles bewegt. Mein erstes Anliegen war es also, Bruckner wieder stärker zu implementieren. Er musste wieder zum Mittelpunkt gemacht werden. Das signalisieren schon die zeitlichen Eckdaten des Internationalen Brucknerfests, das nunmehr immer vom 4. September – Bruckners Geburtstag – bis zum 11. Oktober, seinem Todestag, reicht. Vor allem aber folgen wir einer stringenten Dramaturgie. Das Publikum nimmt das dankbar an, denn wir konnten in den letzten beiden Jahren eine Steigerung von über zwanzig Prozent in der Auslastung erzielen.
Die drei Linzer Klangwolken sind jährliche Highlights des Festivals. Wie nehmen die Linzerinnen und Linzer das jährliche Event wahr?
Kerschbaum: Die erste Klangwolke fand im Jahr 1979 statt. Damals hat man überlegt, wie man das Brucknerfest moderner ausrichten könnte. Gemeinsam mit dem damals neugegründeten Ars Electronica Festival, das Bestandteil des Brucknerfestes war, entwickelte sich die Ur-Klangwolke, eine Art Kunstinstallation im öffentlichen Raum. Was sich dann in vierzig Jahren daraus entwickelt hat, ist schon gewaltig. Mittlerweile gibt es die visualisierte Klangwolke, die aus der Urklangwolke hervorgegangen ist, zusätzlich eine Kinderklangwolke und eine klassische Klangwolke. Jede einzelne erfüllt ein bestimmtes Spektrum. Die visualisierte Klangwolke ist noch immer eine der größten Installationen weltweit. Wir erreichen mit der Installation an die 100.000 Personen pro Jahr. Meine besondere Freude daran ist, dass es nicht nur Kultur bei freiem Eintritt ist, sondern dass es eine friedfertige Veranstaltung ist.
„Mutige Impulse – Bruckner und seine Schüler*innen“ lautet das diesjährige Festival-Motto. Was genau steckt dahinter?
Kerschbaum: Als ich hier 2017 meine Stelle antrat, wollte ich in den folgenden fünf Jahren vieles bewegen, durchleuchten und klarer machen, die Person Bruckner zwar nicht neu definieren, aber aus einer anderen Sichtweise erlebbar machen. Begonnen haben wir mit „Bruckner und die Tradition“. Im zweiten Jahr haben wir Bruckner bei seinem Aufbruch in „neue sinfonische Welten“ begleitet. Im vorigen Jahr ging es um musikalische Kontroversen, dargestellt an den Auseinandersetzungen zwischen Bruckner und Brahms. Wir haben also in jedem Jahr einen dramaturgischen roten Faden verfolgt. Zuletzt haben wir uns gefragt, was nach der Kontroverse kommen könnte. Und da sind wir auf Bruckners Tätigkeit als Lehrer gekommen. Natürlich hat Bruckner keine Schule wie zum Beispiel Arnold Schönberg begründet. Aber er hatte auf seine zahlreichen Schülerinnen und Schüler einen unglaublichen Einfluss.
Auch Kinder und Jugendliche stehen dieses Jahr im Mittelpunkt. Gemeinsam mit der TONALi Tour kommt es in diesem Jahr zu einer einzigartigen Zusammenarbeit. Was genau beinhaltet das Projekt?
Kerschbaum: Wir haben viele musikinteressierte Jugendliche im Land, auch an den Universitäten. Aber musiknahe Berufe ergreifen nur wenige. Die Frage war für mich immer, wie wir mehr Interesse bei den Jugendlichen für Musik und den Musikbetrieb wecken können. Ein Konzerthaus wie das Brucknerhaus hat ja so viele unterschiedliche Abteilungen. Das reicht von der Grafik, der Organisation, dem künstlerischen Betriebsbüro bis hin zum Abenddienst und der Künstlerbetreuung. Jedes dieser Abteilungen ist für sich genommen aufregend und spannend. Und so sind wir auf die Idee gekommen, die Jugendlichen in diesem Jahr mit der TONALi Tour aktiv in den Veranstaltungs- und den Kulturmanagementbereich einzubinden. Da geht es vom Plakatentwurf bis hin zur Werbung und Finanzierung.
Wie gestaltete sich die Planung des diesjährigen Brucknerfests im Hinblick auf die Corona-Pandemie?
Kerschbaum: Wir haben nicht anders organisiert und geplant als sonst auch. Natürlich mit Bedacht, um beispielsweise die Erreichbarkeit der Musikerinnen und Musiker bei Quarantäneregelungen zu gewährleisten. Abstriche von unserer speziellen Dramaturgie haben wir keine gemacht. Es wäre natürlich leicht, es vielen anderen Festivals gleichzutun und einfach das Tourneeprogramm der Künstlerinnen und Künstler und Orchester auf das Festivalprogramm zu setzen. Das tun wir aber ganz bewusst nicht. Das Internationale Brucknerfest Linz soll einmalig sein. Die Konzerte, die man hier hören kann, gibt es anderswo so nicht. Das bedeutet in der Planung zwar wesentlich mehr Arbeit und Überredungskunst bei den Künstlerinnen und Künstlern, aber es lohnt sich.
Gibt es alternative Planungen für den Fall, dass weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die ursprüngliche Planung unmöglich machen sollten?
Kerschbaum: Wir haben gerade wieder darüber gesprochen, dass wir den Sitzplan dynamisch gestalten werden, so dass wir sehr schnell auf Vorgaben der Gesundheitspolitik reagieren können. Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Aber ich blicke voller Zuversicht nach vorne und freue mich auf ein spannendes Brucknerfest 2021.