Wenige Städte sind so malerisch gelegen wie Luzern in der Schweiz. Mit direkter Angrenzung an den Vierwaldstättersee und die Alpen bietet sie die perfekte Kulisse für ein Musikfestival fernab von jeder Großstadt-Hektik. In diesem Jahr wollen die Veranstalter von Lucerne Festival unter dem Motto „Diversity“ ein Zeichen für Chancengleichheit setzen, die unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung oder sozialer Herkunft gilt. Noch werde die Musikszene von weißen Männern dominiert, heißt es im Pressetext des Festivals. Es ist ein Thema, das derzeit so präsent ist wie nie, auch in der Klassikszene. Schon 2016 hat Lucerne Festival Dirigentinnen mit dem Thema „Primadonna“ in den Fokus gerückt. Die Plattform, die man ihnen damals gegeben hat, habe nach eigenen Angaben dazu beigetragen, dass Frauen am Dirigierpult viel präsenter seien als noch vor einigen Jahren. In diesem Jahr konnten sie sieben Dirigentinnen, 24 Komponistinnen und zahlreichen Künstlerinnen für die anstehende Festivalausgabe gewinnen.
Eine Bühne sollen auch People of Colour finden, die vor allem in der Klassik-Branche noch immer unterrepräsentiert sind. So fiel die Entscheidung für die beiden „artistes étoiles“ auf die südafrikanische Sopranistin Golda Schultz und den Dirigenten, Komponisten und Multiinstrumentalisten Tyshawn Sorey. Bereits 2018 haben Alumni der Lucerne Festival Academy in New York mit dem US-Amerikaner zusammengearbeitet. Soreys Werke, eine Zusammenführung aus klassischer Notierung, Improvisation, Neuer Musik und Jazz, verkörpern genau das, wie die Akademie des Festival arbeiten möchte. Daneben sind Dirigent Kevin John Edusei und Cellist Sheku Kanneh-Mason zu erleben sowie die beiden Orchester der britischen „Chineke! Foundation“, die von Kontrabassistin Chi-chi Nwanoku gegründet wurden und aus Mitgliedern ethnischer Minderheiten besteht.
Diversität bezieht sich nicht nur auf Künstler
Auch hinsichtlich des Repertoires setzt Lucerne Festival auf Diversität: Neben George Gershwins Oper „Porgy and Bess“ und Olivier Messiaens Sinfonie „Turangalîla“ steht ein Violinkonzert des schwarzen Mozart-Zeitgenossen Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges auf dem Programm. Composer-in-Residence ist der Brite Thomas Adès, der als Komponist, Dirigent und Pianist in Erscheinung tritt und die Uraufführung seines Anne-Sophie Mutter gewidmeten Werks „Air“ mit dem Lucerne Festival Contemporary Orchestra leitet. Dass das Motto „Diversity“ polarisiert, überrascht nicht. Dennoch sei die Resonanz fast ausschliesslich positiv, heißt es seitens des Festivals. Um auch Skeptiker an die Themen Diversität und Neue Musik heranzuführen, finden neben dem Hauptprogramm öffentliche Talks und Einführungen zu ausgewählten Werken statt.
Als Geburtsstunde von Lucerne Festival gilt ein von Arturo Toscanini initiiertes Galakonzert am 25. August 1838 in Tribschen am Rande der Stadt. Dort hat Richard Wagner unter anderem seine „Meistersinger von Nürnberg“ vollendet und Teile des „Rings“ komponiert, soll auch selbst von Musikfestspielen in Luzern geträumt haben. Mit der Zeit hat sich das Festival auch international einen Namen gemacht. Sinfonie- und Kammerkonzerte gehören hier ebenso zur Tradition wie die Nachwuchsförderung, und beides soll trotz – oder gerade wegen – des Mottos auch in diesem Jahr nicht zu kurz kommen.
So sind in der ersten Festivalwoche internationale Jugendorchester zu erleben, etwa das Youth Symphony Orchestra of Ukraine unter der Leitung von Oksana Lyniv und mit Geiger Andrii Murza, das zum Festival-Auftakt ein Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine setzen möchte. In sinfonischer Hinsicht wird es in diesem Jahr endlich wieder großformatig in Luzern: Nach zwei Jahren der Beschränkungen können nun wieder mehr grossbesetzte Werke, zum Beispiel Sinfonien von Gustav Mahler und Anton Bruckner, gespielt werden. Außerdem feiert das Festival den 70. Geburtstag von Wolfgang Rihm mit zahlreichen Werken des Komponisten in verschiedenen Konzerten. Das Lucerne Festival Orchestra setzt unter der Leitung von Chefdirigent Riccardo Chailly seinen Rachmaninow-Zyklus mit dessen zweiter Sinfonie fort. So bietet Lucerne Festival für jeden Geschmack das Richtige und kann den einen oder anderen Kritiker am Ende vielleicht doch noch für Neues und bisher Unbekanntes begeistern.