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„Das ist wie eine Reinigung“

Musikfest Stuttgart 2022

Das Musikfest Stuttgart steht in diesem Jahr unter dem Motto #insparadies und findet vom 18. Juni bis 3. Juli mit 24 Konzerten und einem breiten Rahmenprogramm statt. Am jeweils letzten Wochenende der Pfingstferien eröffnet das Festival die Konzertsaison in der schwäbischen Landeshauptstadt. Im Zentrum des von der Internationalen Bachakademie Stuttgart federführend veranstalteten Festivals steht die Konzertreihe „Sichten auf Bach“ mit der Gaechinger Cantorey und Hans-Christoph Rademann. Gemeinsam mit international renommierten Künstlern und Ensembles sowie in Kooperation mit Stuttgarter Institutionen entsteht das vielfältige Programm mit einem jährlich wechselnden Thema.



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Oliver Geisler ist im letzten Herbst kurzfristig als Dramaturg für das Musikfest Stuttgart eingesprungen. Kein Problem für den erfahrenen Kulturmanager, der sich bereits auf das Festival freut, das nun endlich wieder zurück ist.

Wie fühlt es sich an, jetzt wieder so richtig durchzustarten?

Oliver Geisler: Es bedeutet vor allem wieder den stärkeren Dialog mit dem Publikum. Für Festivalmacherinnen und -macher waren die letzten beiden Jahre aber keine Fermate, sondern eine äußerst intensive und kreative Zeit: Es galt, die Musik nicht verstummen zu lassen, Krisen zu managen oder manchmal einfach zu trösten und Hoffnung zu stiften. Und viele haben ihr eigenes Tun befragt. 2020 ist in Stuttgart komplett ausgefallen, 2021 war hybrid. Und die Zeit haben wir genutzt, um Fragen zu stellen, beispielsweise was ein zeitgemäßes Festival ausmacht. Ist das, was wir die letzten Jahre gemacht haben, gut und richtig? Es war ja bereits für 2020 beschlossen, das Musikfest Stuttgart vom Herbst in den Frühsommer zu verlegen. Mit zwei Jahren Verzögerung können wir das jetzt umsetzen, es wird also das erste Festival in der neuen Konzeption werden, das nun auch stärker als bisher auf Kooperationen in der Stadt setzt, so dass der Festivalname, nämlich Musikfest Stuttgart, auch tatsächlich eingelöst wird.

Werden Sie in diesem Jahr wieder auf digitale Formate setzen?

Geisler: Alle, die wir hier momentan mit Musik und Kultur zu tun haben, haben totale Lust auf Nahbarkeit und Begegnung. Konzerte leben von der Aura vor Ort, von der unmittelbaren Wirkung. Digitale Konzerte waren und sind ein Behelf. Es gibt sicherlich digitale Formen, die weiterlaufen werden, aber man darf auch die technischen Kosten nicht unterschätzen. Diese sind enorm im Verhältnis zu dem, was dabei rauskommt. Und die digitale Kultur hat keine Bezahlkultur – bis heute nicht.

Spielt bei Ihnen das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle?

Geisler: Absolut! Viele Inhalte, die man traditionell in ein liebevoll vom Dramaturgen gestaltetes Abendprogramm stecken würde, bieten wir im als digitale Konzertmappe und nicht als gedrucktes Heft an. Statt eines Einführungstextes kann das einfach mal ein Gedicht, ein Video oder ein Gruß des Künstlers sein. Und am Abend bekommt man vor Ort dann nur noch die wichtigsten Informationen. Sicherlich werden wir in den kommenden Jahren da auch noch sehr viel ausprobieren, mit unserem Publikum sprechen …

Welche Resonanz von Seiten der Besucher haben Sie bislang bekommen?

Geisler: Das ist ein großes und komplexes Thema, weil man nicht alles auf Corona schieben kann. Es gab auch davor schon Entwicklungen, besonders in der freien Szene. Da gibt es wahnsinnig viele kreative Köpfe, die die Zeit genutzt haben, um Konzepte zu entwickeln, wie Musikkultur sich dem Publikum besser zuwenden kann. Aber ich vermute auch, dass das stark von den einzelnen Städten, Traditionen, Szenen und Menschen abhängt. Mancherorts strömt das Publikum in die Konzerte, woanders ist es zurückhaltender. Aber hier in Stuttgart – die Bachakademie macht ja nicht nur das Musikfest, sondern eine 360-Grad-Versorgung das ganze Jahr über – liefen die letzten Konzerte gut. Und wir sind jedenfalls felsenfest davon überzeugt, dass auch unser Angebot gut ist. Und wir hoffen einfach auf ein entspanntes Festival im Sommer.

Das Musikfest soll ein Festival für die ganze Stadt sein. Was bedeutet das für Sie und Ihre Planung?

Geisler: Eine wichtige Säule sind die bereits genannten Kooperationen. Das Musikfest besteht nicht nur aus Gastspielen oder nur aus Konzerten der Gaechinger Cantorey, die ihr eigenes Programm macht, sondern es verzweigt sich: Wir kooperieren mit der Hugo-Wolf-Akademie, mit dem Staatsorchester, wir gehen ins Gustav-Siegle-Haus, der Spielstätte der Philharmoniker, wo im Anschluss an das Konzert ein Jazzabend im angrenzenden BIX Club stattfindet. So bauen wir Brücken nicht nur innerhalb der Stadt, sondern auch innerhalb bestimmter Klangszenen. Ich bin gespannt, wie stark diese Brücken genutzt werden.

Neben neuen Formaten gibt es nach wie vor die Klassiker wie das Musikfest-Café und „Sichten auf Bach“. Warum sind diese Veranstaltungen so wichtig?

Geisler: Hans-Christoph Rademann sagt immer, „Sichten auf Bach“ sei unser Herzstück. Das ist die Basis, auf der die anderen Veranstaltungen des Musikfests aufbauen. Dieses Jahr wollen wir den Fokus auf die historische Aufführungspraxis richten. Aber es gibt noch so viele weitere unentdeckte Sichten auf Bach. Und die Cafés sind einfach eine Vertiefung und eine Art geistiges Gewürz. Sie machen aus einer Konzertreihe erst ein Festival. So haben wir zum Beispiel Hans von Trotha eingeladen, den kulturwissenschaftlichen Experten zum Thema Gartenkunst schlechthin. Das klingt zunächst vielleicht abwegig, aber die Gartenkunst war auch immer wieder der Versuch, Paradiese auf Erden zu schaffen. Damit wollen wir erreichen, dass das Publikum nicht nur neunzig Minuten Konzert hört, sondern sich schon tagsüber in Schwingung versetzt und sich einstimmt.

Das Festivalmotto lautet #insparadies. Was ist denn für Sie das Paradies?

Geisler: Ein Sehnsuchtsort, etwas nicht Erreichbares. Glück. Können wir uns einen Zustand des Glücks vorstellen? Temporär ja, dauerhaft nein. Aber trotzdem streben wir danach. Vielleicht auch Heimat, die wir immer erst dann thematisieren, wenn wir sie verloren haben. Das Paradies ist immer das nicht mehr Vorhandene oder noch nicht Vorhandene unserer Existenz und von daher eine ganz starke Triebkraft. Es ist aber kein Eskapismus für mich, über das Paradies nachzudenken, sondern hat auch was mit dem Hier und Jetzt zu tun. Paradies kann auch bedeuten, das Gute in der Welt zu mehren. Wenn wir das als Ziel ausrufen, dann hätten wir mit unserer Musik ganz schön viel zu sagen. Für mich ist es also nicht zwingendermaßen ein Jenseitsort.

Warum bürden Sie sich überhaupt ein Motto auf?

Geisler: Weil wir ein Festival als Komposition begreifen und nicht als reine Verkaufsveranstaltung. Wir sind ein Musikfest, das in der Stadt Themen setzen und den einen oder anderen zum Nachdenken bewegen möchte, denn genau das können wir mit Kunst tun. Und Festival heißt Verdichtung. Das heißt eben nicht, hier und da mal ein Tropfen, sondern wir sammeln sie in einem Gefäß, in einem Motto.

Worauf freuen Sie sich am meisten?

Geisler: Vor der Frage habe ich mich natürlich gefürchtet. Wie soll ich etwas auswählen. Aber vielleicht zwei ungewöhnliche Projekte: Wir bringen das Mozart-Requiem in einer Fassung für Streichquartett, mit dem Stuttgarter Lichtkünstler Laurenz Theinert. Das ist eine Kooperation mit dem Musikfest ION. Laurenz hat ein „Visual Piano“ entwickelt, eine Art Lichtorgel. Er hört die Musik und übersetzt die Klänge in Licht und abstrakte Formen, die im gesamten Raum projiziert werden. Hier trifft geistliche Musik auf ein bürgerliches Streichquartett, kombiniert mit jemandem aus der freien Szene, der sich sonst eher im Freejazz und der Elektroszene tummelt. Das wird ein vielfarbiges Highlight! Und ein weiterer, heimlicher Höhepunkt ist sicherlich das Konzert in der Kirche St. Fidelis. Witzigerweise heißt der Vorraum dieser Kirche „Paradies“, aber das nur am Rande. Dort machen wir die „Rosenkranzsonaten“ von Heinrich Ignaz Franz Biber. Geistliche Instrumentalmusik aus dem frühen 17. Jahrhundert, die insgesamt dreieinhalb Stunden dauert – da steigen normalerweise schon viele aus. Wir sagen aber, dass das auch zu einem Festival gehört: in die Tiefe zu gehen, sich einzulassen und Zeit zu nehmen. Ich habe diese Gesamtaufführung schon einmal erlebt und kann nur sagen: Man geht anders raus als man reingegangen ist, das ist wie eine Reinigung.

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