Wer als Reisender einmal auf dem Landweg durch Europa unterwegs war, kennt das Phänomen, dass sich in den Grenzregionen die unterschiedlichsten Eigenarten verschiedener Staaten zu vermischen scheinen, dort meist Mehrsprachigkeit vorherrscht und Kulturen ineinanderfließen. Oft sind es gerade diese Regionen, die durch Austausch, Offenheit und Vielfalt zu einzigartigen kulturellen Ballungsräumen geworden sind und als solche auch durch eigene kulturelle Werte bestechen. Einer dieser besonderen Orte ist das Dreiländereck von Deutschland, Tschechien und Polen, wo über die Jahrhunderte die Oberlausitz, Niederschlesien und Nordböhmen zu einer einzigartigen Kulturlandschaft zusammengewachsen sind.
Ein wichtiger Bestandteil hier ist seit dem 10. Jahrhundert auch die jüdische Kultur, die trotz Pogromen, Verfolgungen und Siedlungsverboten ein reiches jüdisches Kulturleben mit vielen unterschiedlichen Kunstrichtungen hervorbrachte, jedoch in der Zeit des Nationalsozialismus ein zerstörerisches Ende erfuhr. Nun soll im Rahmen des Jubiläums „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ der jüdischen Kultur in der Oberlausitz eine besondere Würdigung zuteilwerden. Dazu hat der Förderverein „Kommen und Gehen“ – Das Sechsstädtebundfestival! e.V., Veranstalter des jährlich im August stattfindenden Festivals „Kommen und Gehen“ – Das Sechsstädtebundfestival!“, in diesem Jahr eine zusätzliche Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, die vom 1. August bis zum 21. November unter dem Namen „Oberlausitzer Perspektiven auf 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ stattfindet. Unter der Schirmherrschaft von Thomas Feist, Beauftragter der Sächsischen Staatsregierung für das jüdische Leben, möchte der Förderverein mit zahlreichen Kulturveranstaltungen die Geschichte des jüdischen Lebens im Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien aufzeigen, Gegenwärtiges präsentieren und einen möglichen Blick in die Zukunft der jüdischen Kultur im Raum Oberlausitz, Niederschlesien und Nordböhmen werfen. Auf dem breitgefächerten Programm stehen neben Konzerten auch musikalische Workshops, historische Stadtspaziergänge mit Klezmermusik, Lesungen, Lichtinstallationen, Lyrik- und Theaterabende und Gesprächsangebote.
Breit gefächertes Programm
Als Auftakt der auf die Oberlausitzer Ortschaften Zittau, Görlitz, Kamenz, Löbau, Seifhennersdorf, Großschönau, Königshain, Herrnhut und Weißenberg aufgeteilten Veranstaltungsreihe, die zudem in Kooperation mit der polnischen Stadt Lubań und dem tschechischen Liberec steht, darf sich das Publikum auf einen Open-Air-Theaterabend unter dem Titel „… vern mir a foygl“ und die interaktive Lichtinstallation „Klezmer“ von Claudia Reh im Klosterhof Zittau freuen. Zahlreiche Konzerte sind unter anderem im neu eröffneten Kulturforum Görlitzer Synagoge zu erleben, so etwa am 6. August mit dem Kammerkonzert „Hoffnung 2021“, bei dem Violinistin Ana Agre und Pianist Alexander Kleonov Werke von Glinka, Rossini, Beethoven und Brahms mit traditionellem Chardashs und jüdischen Melodien präsentieren. Am Tag drauf sind beide mit ihrem Programm „Von Klezmer bis Gershwin“ zu erleben.
Weitere Konzerthighlights finden am 16., 17. und 18. August unter dem Titel „LeDor vaDor – von Generation zu Generation“ statt. Das Publikum erwarten hier Gesänge der liberalen Synagoge aus dem 19. Jahrhundert. Auf der Bühne zu erleben sind dabei Pianist Jascha Nemtsov, Kantor und Bariton Isidoro Abramowicz, Sopranistin Shulamit Lubowska sowie Tenor Yoed Sorek. Vorab wird am 16. August in der Görlitzer Synagoge ein Workshop zur modernen Synagogalmusik mit Shulamit Lubowska und Yoed Sorek angeboten – Mitsingen ist hier ausdrücklich erwünscht.
Angebote für die ganze Familie
Zu den weiteren Programmpunkten der „Oberlausitzer Perspektiven auf 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zählen musikalisch-begleitete Stadtspaziergänge durch Zittau und Liberec sowie ein Ferienworkshop für Kinder und Jugendliche vom 16. bis 19. August in Königshain zum Thema jüdisches Leben an der Via Regia. Im September folgen Lesungen mit Poesie jüdischer Dichterinnen und Dichter und Gesprächsangebote mit Künstlern. Der Abschluss des Festivals findet im November mit Kammerkonzerten, weiteren Workshop-Angeboten für Jugendliche und Kinder und musikalischen Lesungen statt.
Ebenfalls lohnend und garantiert erlebnisreich ist der Besuch des parallel vom 12. bis 22. August stattfindende „Kommen und Gehen“ – Das Sechsstädtebundfestival!. Zur Eröffnung im Klosterhof Zittau steht unter dem Motto „Zurück in die Zukunft“ ein musikalischer Gesprächssalon auf dem Programm, gefolgt von dem Eröffnungskonzert „WTF 1700“, in dessen musiktheatralischen Inszenierung die beiden 1770 geborenen Jahrhundert-Künstler Hölderlin und Beethoven und deren Schaffen und Wirken nach der Relevanz für unsere Gegenwart untersucht werden. Ebenfalls nicht verpassen sollte man am 21. August den „Kulturellen Geburtstagsjahrmarkt“ anlässlich des 675-jährigen Jubiläums der Gründung des Sechsstädtebundes in Löbau.