Namen wie Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Clara und Robert Schumann sowie Richard Wagner verbindet man seit langem mit der Musikstadt Leipzig. Aber Dmitri Schostakowitsch? Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch vielfältige Bezüge zu diesem herausragenden Vertreter der russischen Moderne. So drängt es sich fast schon auf, dessen fünfzigsten Todestag mit einem Festival zu feiern, das den Komponisten in einer Werkschau porträtiert, die gemessen an ihrem Umfang und ihrer handverlesenen Auswahl von Interpreten ihresgleichen sucht.
Anlässlich eines anderen Todestages, dem zweihundertsten von Johann Sebastian Bach, reiste Schostakowitsch 1950 in die ostdeutsche Kulturstadt, um als Jurymitglied den frisch gegründeten Bach-Wettbewerb zu begleiten. Wenig später schrieb er in Anlehnung an Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ seine „24 Präludien und Fugen“ op. 87, die heute zu den Hauptwerken der Klaviermusik des 20. Jahrhunderts zählen. Nach Schostakowitschs Tod im Jahr 1975 initiierte Gewandhauskapellmeister Kurt Masur die weltweit erste zyklische Aufführung von dessen fünfzehn Sinfonien, wobei in Leipzig schon zuvor mehrere Sinfonien des Russen in gesamtdeutscher Erstaufführung zu erleben waren. Mit seinen Interpretationen und Aufnahmen sämtlicher Schostakowitsch-Sinfonien sowie der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ schreibt Andris Nelsons die kontinuierliche Schostakowitsch-Tradition in Leipzig bis in die Gegenwart fort.
Schostakowitsch Festival Leipzig mit umfassender Werkschau
Einen ihrer Höhepunkte bildet das Schostakowitsch Festival Leipzig, das vom 15. Mai bis 1. Juni 2025 alle wichtigen Werke seines Namensgebers zu Gehör bringt. Als Gewandhauskapellmeister und Music Director des Boston Symphony Orchestra bittet Andris Nelsons die beiden seit 2018 kooperierenden Klangkörper aufs Podium. Für die Aufführung sämtlicher Sinfonien und Solokonzerte des Komponisten werden die beiden sinfonischen Schwergewichte von einem Festivalorchester unterstützt, das sich aus Musikerinnen und Musikern ihrer Akademien – der Mendelssohn-Orchesterakademie und des Tanglewood Music Center – und aus Studierenden des Orchesters der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig zusammensetzt. Man darf gespannt sein, wie die hochgelobte Dirigentin Anna Rakitina, die bis Sommer 2023 Assistant Conductor von Andris Nelsons in Boston war, diesen jungen Klangkörper im Schostakowitsch-Universum aufblühen lässt. Atemberaubende Abende sind darüber hinaus garantiert, wenn das Gewandhausorchester und das Boston Symphony Orchestra mit der „Leningrader“ Sinfonie in drei Konzerten ihre sinfonischen Kräfte und hohen musikalischen Qualitäten auf der Bühne vereinen. Und natürlich darf bei einem Festival wie diesem auch die prominenteste von Schostakowitschs drei Opern nicht fehlen: Zwei szenische Aufführungen von „Lady Macbeth von Mzensk“ sind an der Oper Leipzig unter Nelsons Dirigat zu erleben.
Vielgestaltige Kammermusik
Natürlich kann man die große künstlerischen Persönlichkeit Schostakowitschs, dessen politische Zerrissenheit zwischen Anpassung und Aufbegehren unter der Diktatur Stalins und dessen stilistischer Wandel in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche sich in der Vielgestaltigkeit seiner Werke widerspiegeln, nur erfassen, wenn man auch die Kammermusik in den Blick nimmt. Die schon erwähnten „24 Präludien und Fugen“ für Klavier solo erklingen unter den Händen von Yulianna Avdeeva, das Quatuor Danel spielt sämtliche Streichquartette (ebenfalls 15 an der Zahl) und – zusammen mit dem Gewandhaus-Quartett – die „Zwei Stücke für Streichoktett“ op. 11. Zu drei Rezitalen mit Duo- und Trio-Stücken sowie einem Quintett laden der dänische Geigenvirtuose Nikolaj Szeps-Znaider und der russische Ausnahmepianist Daniil Trifonov, die sich für ihre kleine Reihe im Großen Saal des Gewandhauses mit der Geigerin Baiba Skride, dem Cellisten Gautier Capuçon und dem Bratschisten Antoine Tamestit verbünden.
Filmkomponist Schostakowitsch
Ein Chorkonzert mit dem MDR-Chor unter Philipp Ahmann und zwei Liederabende widmen sich den Vokalkompositionen Schostakowitschs, zwei Salonkonzerte stellen dessen Märchen-, Bühnen- und Unterhaltungsmusiken vor, drei Nachtkonzerte untermalen die „Geisterstunde“ musikalisch, und drei Filmvorführungen geben Einblicke in die Biografie des Komponisten sowie eine Kostprobe von dessen Schaffen als Filmkomponist. An ausgewählten Abenden gibt es außerdem die Möglichkeit, Beteiligte aus dem zuvor gehörten Konzert und andere Gäste in der Schostakowitsch-Lounge zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Auch wenn der Meister selbst zu bedenken gab: „Meine Musik sagt eigentlich alles. Es braucht keine historischen oder hysterischen Kommentare.“ Ein Grund mehr, die Musik Schostakowitschs immer wieder im Hier und Jetzt lebendig werden zu lassen und ihr Raum zum Atmen zu geben. Wie es im Leipziger Gewandhaus geschieht.
Einen weiteren Vorgeschmack auf das Festival finden Sie hier im Trailer: