Im waldigen Süden Thüringens, eine halbe Stunde von Weimar entfernt, steht Schloss Kochberg. Einst lebte hier Charlotte von Stein, Muse und Freundin Goethes, die der Dichterfürst regelmäßig auf ihrem Landsitz besuchte. Um 1800 ließ Steins Sohn Carl das Anwesen um einen romantischen Landschaftspark mit Quellen und Weihern sowie um ein privates Theater im klassizistischen Stil erweitern: das heutige „Liebhabertheater“. Mit seinen nur 75 Plätzen und der großen Nähe zu den Akteuren auf der Bühne sorgt es für eine intime Atmosphäre. Diese erleben Musik- und Schauspielfreunde beim Sommerfestival „Theater!“, das in Kooperation mit der Klassik Stiftung Weimar an den Wochenenden vom 7. Mai bis 24. September stattfindet und mehr als zwei Dutzend Veranstaltungen mit renommierten Künstlern bietet.
Ein Theaterdirektor in Nöten
Im Zentrum der diesjährigen Saison steht die Wiederentdeckung von Goethes Lieblingsoper „Die Theatralischen Abentheuer“. 1787 hatte der Dichter Domenico Cimarosas Opera buffa in Rom gesehen. Zurück in Weimar, übersetzte er das Libretto des „L’impresario in angustie“, fügte, wie damals nicht untypisch, einige Arien anderer Komponisten hinzu und ließ das Werk im Oktober 1791 am Weimarer Hoftheater aufführen. Cimarosa blickt in seiner Opernsatire mit feinsinnigem Witz hinter die eigenen Kulissen: Ein Theaterdirektor, ein Dichter, ein Kapellmeister und Komponist sowie drei Primadonnen wollen möglichst viel eigenen Gewinn aus einer neuen Oper schlagen. Während im Hintergrund das Stück geprobt wird, beginnt ein Intrigenspiel mit allerhand amüsanten und peinlichen Misstritten, an dessen Ende sich der Impresario mit der Kasse davonmacht.
Obgleich das Stück bis weit ins 19. Jahrhundert hinein häufig auf deutschen Bühnen gespielt wurde, ist eine vollständige Version von damals nicht mehr erhalten. Eigens für das Festival haben die Veranstalter daher eine neu interpretierte Fassung, die zugleich nah an Goethes Rom-Erlebnis herankommen soll, nachbilden lassen. Drei Jahre lange recherchierte das Produktionsteam um Theaterleiterin Silke Gablenz-Kolakovic, Regisseur Nils Niemann und Dirigent Wolfgang Katschner in europäischen Bibliotheken und fand dabei unter anderem ein Souffleurbuch und die Orchesterstimmen einer Weimarer Aufführung. Babette Hesse übersetzte das italienische Libretto neu. Zudem fügte das Team Arien von Baldassare Galuppi und Friedrich Christoph Gestewitz hinzu, die das Theaterleben schildern. Die Neufassung feiert am 14. Mai Premiere und ist danach neun Mal zu sehen. Es spielt die Lautten Compagney Berlin unter Leitung von Wolfgang Katschner. Als weiteres Musiktheaterstück inszeniert Nils Niemann mit dem auf die Musik des 18. Jahrhunderts spezialisierten Ensemble I Porporini Giuseppe Scarlattis „Der gefangene Amor“. Der Dialog zwischen der keuschen Jagdgöttin Diana und Liebesgott Amor musste 2021 nach nur einer Vorstellung pandemiebedingt abgesagt werden.
Renaissance-Lieder am runden Tisch auf Schloss Kochberg
Mit Werken von Antonio Locatelli und Georg Philipp Telemann führt das Thüringer Bach Collegium am 21. Mai in die Welt der Theater- und Konzertmusik ein. Einzelne Opernarien und virtuose Paraphrasen gehörten wie selbstverständlich zur Salonkultur der Romantik. Richard Wagner bearbeitete mit Gaetano Donizettis „La favorite“ aber gleich eine gesamte Oper für den Salon. Die seltene Fassung für zwei Violinen und Sprecher ist am 11. Juni zu hören. Auch in der Renaissance trafen sich Menschen zum gemeinsamen Musizieren, damals noch am runden Tisch. In ihrem Konzert „Behold a Wonder Here“ (2.7.) greifen vier Sänger und drei Instrumentalisten der Lautten Compagney Berlin diese Praxis auf und interpretieren Lieder aus John Dowlands „Books of Songs and Ayres“. Pianist Frank-Immo Zichner ergründet am 23. Juli das Thema „Sturm“ mit Soloklaviermusik von Beethoven. Unter dem Motto „Theaterzauber in der Kammermusik“ beschließt das Festival am 24. September seine Konzertreihe. Auf Originalinstrumenten aus der Goethe-Zeit werden unter anderem Variationswerke von Beethoven und Mozart über Themen aus der „Zauberflöte“ erklingen.
Im Schauspiel kommt mit Goethes frühem Lustspiel „Die Mitschuldigen“ eine Rarität auf die Bühne des Liebhabertheaters. Angesiedelt in einem Wirtshaus, lässt der Dreiakter „augenzwinkernd in menschliche Abgründe blicken“, so die Veranstalter. Bis zu seinem fluchtartigen Aufbruch nach Italien 1786 war Goethe mehr als ein Dutzend Mal zu Gast bei Charlotte von Stein. Barbara Schnitzler wird am 10. September in ihre Rolle schlüpfen und „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ führen, verfasst von Peter Hacks.