Mittelpunkt des Sommers der Tiroler Festspiele Erl sind dieses Jahr die beiden schon lange ausverkauften Zyklen von Richard Wagners vierteiligem Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“. Brigitte Fassbaender erarbeitet im Passionsspielhaus mit zum Teil neuer Besetzung ihre als präzise, detailgenau und klar gefeierte Inszenierung. Die zweite „Götterdämmerung“ am 28. Juli ist auch die letzte Musiktheater-Vorstellung unter der künstlerischen Leitung von Bernd Loebe. Bis zum Schluss setzte der Frankfurter Opernintendant seinen Einsatz für selten gespielte Werke auch bei den Tiroler Festspielen Erl fort, welche ihrem Signet mit den Silhouetten des Passionsspiel- und des Festspielhauses die Progress-Prideflagge unterlegen. Auf die umjubelte Produktion von Nikolai Rimski-Korsakows „Schneeflöckchen“ im letzten Winter folgt jetzt mit „Mazeppa“ eine der schönsten, aber auch härtesten Opern von Peter Iljitsch Tschaikowski.
Nach ihrer in die Gegenwart versetzten und doch märchenhaften Deutung von Engelbert Humperdincks „Königskinder“ kommen Dirigent Karsten Januschke und der für seine „Tannhäuser“-Inszenierung an der Oper Frankfurt vor kurzem enthusiastisch gefeierte Regisseur Matthew Wild endlich wieder nach Erl. Wie oft bei Tschaikowski geht es in „Mazeppa“ um die Unmöglichkeit der Liebe, diesmal zwischen Maria und dem bedeutend älteren Kosaken Mazeppa. Die Beziehung wird zum Stein des Anstoßes. Deshalb hinterbringt Marias Vater Koschubei Zar Peter I. die Aufstandspläne des Kosaken Mazeppa zur Befreiung der Ukraine. Mazeppa lässt den Gegner hinrichten und tötet Andrei, den Jugendfreund seiner Geliebten. Maria wird wahnsinnig, Mazeppa bleibt zerstört zurück. Die Hauptpartien des 1884 im Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführten und in Westeuropa nur selten zu hörenden Meisterwerks singen im Festspielhaus Petr Sokolov (Mazeppa), Nombulelo Yende (Maria), Alexander Roslavets (Kotschubej) und Mikhail Pirogov (Andrej) am 12., 19. und 21. Juli.
Konzerte und Konzertzyklen mit hinreißendem Panorama
Maximilian Maier ist einer der beliebtesten Klassik-Moderatoren beim Bayerischen Rundfunk und bei ARTE. Exklusiv für die Tiroler Festspiele konzipieren er und Dirigent Beomseok Yi ein kurzweiliges Konzert für Familien über die faszinierenden Klangwelten in „Der Ring des Nibelungen“ als „Wagner light“ für einen einzigen Abend am 16. Juli. Wagners musikalische Darstellung von Riesen, Zwergen, Göttern und magischen Wunderdingen werden durch die spielerische Erläuterung der Motivtechnik erlebbar gemacht. Das Orchester der Tiroler Festspiele sitzt in genau der Aufstellung auf der Bühne des Passionsspielhauses wie in den „Ring“-Vorstellungen. Jugendliche unter achtzehn Jahre zahlen nur fünfzehn Euro, für Kinder unter zehn Jahren ist der Eintritt frei.
In den letzten Jahren erlangten Konzerte und Konzertzyklen im Festspielhaus mit dem hinreißenden Panorama des Inntals zwischen Wilder Kaiser und Wendelstein eine immer größere Bedeutung. Selbst wenn es im Sommer 2024 an insgesamt fünf Abenden um Franz Schubert geht, verstehen sich die Tiroler Festspiele nicht als Konkurrenz zur Schubertiade Vorarlberg, sondern vielmehr als hochkarätige Bereicherung des Angebots zwischen München, Salzburg und Innsbruck. An vier Abenden wird der renommierte Pianist Paul Lewis alle zwölf Klaviersonaten Schuberts spielen (17., 18., 20., 21. Juli). Bereits vor über zwanzig Jahren trat Lewis mit einem Schubert-Zyklus in der Londoner Wigmore Hall auf und setzte, zum Teil mit seinem früheren Lehrer Alfred Brendel, das Engagement für den früh verstorbenen Wiener Komponisten bis heute fort.
Tiroler Festspiele Erl als ganzjähriger Konzeptplan
Im 31. Jahr ihres Bestehens erinnert sich die zehnköpfige Musicbanda Franui aus Osttirol, dass ihr Hausheiliger, der Komponist Franz Schubert, nur 31 Jahre alt wurde, und spielt darum im Festspielhaus ein komplettes Schubertprogramm, das vom Grab ins Wirtshaus und wieder retour führt. Franui bildet auch in der bisher „Erntedank“ und jetzt „Ausklang“ genannten Saisonnische am 4. und 5. Oktober den Übergang von der Intendanz Loebe in die Ära Jonas Kaufmann. Der weltberühmte Tenor aus München mit dem riesigen Repertoire will seine Tätigkeiten zunehmend auf Erl fokussieren. Der Vorverkauf für Kaufmanns erste Spielzeit von Oktober 2024 bis Juli 2025 mit den Saison-Zyklen Ausklang, Winter, Frühling und Sommer hat bereits begonnen.
Ab sofort sollen die Tiroler Festspiele als ganzjähriger Konzeptplan erkennbar sein. Kaufmann setzt bewährte Publikumsfavoriten wie Bachs Weihnachtsoratorium mit allen sechs Kantaten (8. Dezember) fort. Zu Ostern tritt der in dieser Partie in München und Wien gefeierte Kaufmann auch in Erl als „Parsifal“ auf. Der neue Erler Chefdirigent Asher Fish dirigiert im Festspielhaus eine Neuinszenierung von Philipp M. Krenn (17. und 20. April), weil im Passionsspielhaus 2025 die traditionellen Passionsspiele stattfinden. Kaufmann plant größere Kontraste zwischen Moderne und klassischem Opernrepertoire in erstklassigen Besetzungen. Mit Puccinis „La Bohème“ (27. Dezember, 3. Januar 2025) und jungen Stimmen erfüllt er den Publikumswunsch nach dieser beliebten Weihnachtsoper. Im Winter gibt es zudem zwei konzertante Vorstellungen von Vincenzo Bellinis „I puritani“ (28. Dezember, 4. Januar) mit Marina Monzó und René Barbera.