Max Reger war ein Getriebener, erkor alle paar Jahre eine neue Stadt zu seiner Wahlheimat: Im oberpfälzischen Brand wurde er geboren, in Sondershausen und Wiesbaden studierte er, 1901 siedelte er nach München um und feierte dort seine ersten beruflichen Erfolge. Von dort aus folgte er seiner Berufung zum Universitätsmusikdirektor und Professor am Königlichen Konservatorium in Leipzig, ehe er 1911 die Stelle des Kapellmeisters der Meininger Hofkapelle annahm. Ab 1915 wohnte Reger dann in Jena. Seine prägenden Jahre indes durchlebte er in Weiden in der Oberpfalz, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Und nach einer Lebenskrise in Wiesbaden – er bezeichnete diese Episode seines Lebens als „Sturm- und Trankzeit“ – kehrte er für drei Jahre wieder in sein Elternhaus zurück. Es verwundert also nicht, dass der Komponist, Pianist und Organist überall präsent ist in der Stadt nahe der tschechischen Grenze, sei es in Museen und Gedenkstätten, sei es als Namensgeber von Schulen, Straßen, Parks, aber auch von Torten oder Bier-Sorten. Sogar eine Max-Reger-Gedächtnis-Orgel hat die Stadt: Als im Jahr 2007 das Instrument in der Kirche St. Michael erneuert werden musste, entstand nach umfangreichen Recherchen eine von der Firma Weimbs erbaute Orgel, die eine stilgerechte Interpretation seiner Orgelwerke ermöglicht.
Die Orgel wird auch bei den diesjährigen Max-Reger-Tagen erklingen, wenn Martin Sturm Regers rauschhafte und Grenzen sprengende „Inferno-Phantasie“ interpretiert (19. September, 17 Uhr). Seit dem Jahr 1999 pflegt die Stadt Weiden mit dem Musikfestival das Erbe des großen Sohnes der Stadt, um dem Publikum sowohl den Menschen Max Reger als auch dessen Musik näher zu bringen. Seitdem hat sich die Veranstaltungsreihe mit Konzerten, Meisterkursen, Ausstellungen, Lesungen und Exkursionen zu einer festen Einrichtung im Weidener Kulturleben mit Ausstrahlung über die Grenzen der Stadt hinaus entwickelt und betreibt mittlerweile als einziges konstantes Festival weltweit eine kontinuierliche Reger-Pflege.
So erklingen in Weiden Jahr für Jahr außergewöhnliche, abwechslungsreiche Programme, die Regers Kompositionen kombinieren mit bekannten Klassikern und Neuentdeckungen aus dem Schaffen weitgehend unbekannter Komponisten. Am Eröffnungsabend etwa bringen das Diogenes Quartett und Klarinettist Thorsten Johanns Regers Werke in Zusammenhang mit Kompositionen von Beethoven und des Reger-Schülers Erwin Schulhoff (13. August, 20 Uhr, Regionalbibliothek). Das Aperto Piano Quartett wiederum stellt dem Weidener Komponisten Robert Schumann gegenüber (17. September, 20 Uhr, Max-Reger-Halle), während am 23. September in Bayreuth das Duo FourTe neben Schulhoff noch einen weiteren Komponisten in den Fokus rückt, der im Geiste Regers komponiert hat: Günter Raphael (19:30 Uhr, Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne). Am 26. September setzen Violinistin Viviane Hagner und Pianist Rudolf Meister den Komponisten in Beziehung zu Bartók und Ravel (11 Uhr, Max-Reger-Halle), und das finnisch-japanische Duo Loisto geht regional betrachtet noch ein Stück weiter und interpretiert Werke des Finnen Jean Sibelius und des japanischen Komponisten Toru Takemitsu (29. September, 15 Uhr, Maria-Seltmann-Haus).
Klassik abseits des Mainstreams: Weidener Max-Reger-Tage
Konzertmoderationen und Vorträge geben einen Einblick in Regers Arbeitsweise und ordnen sein Schaffen in die musikgeschichtliche Entwicklung der Jahrhundertwende ein. Wer also Klassik abseits des Mainstreams sucht, ist bei den Max-Reger-Tagen in Weiden genau richtig – zumal das Unbequeme und Unkonventionelle fast schon Stilmittel des Oberpfälzer Komponisten sind, denn seine Werke gelten als äußerst schwer, um nicht zu sagen: kaum spielbar. Oder um es mit den Worten des Pianisten Markus Becker auszudrücken, der das pianistische Gesamtwerk Regers einspielte und im concerti-Interview über dessen Œuvre sagte: „Die Stücke sträuben sich, gelernt zu werden, sie widersetzen sich dem Interpreten geradezu. Aber das macht auch den Reiz aus: Selbst nach dem Konzert ist es so, dass man von der Bühne kommt und kein einziges Thema singen kann. Die Musik von Reger ist unglaublich tief und ernst geschrieben, hat immer die Attitüde von hochromantischer, tief empfundener Musik.“ Gemeinsam mit dem Pianisten Hinrich Alpers beschließt Becker die 23. Max-Reger-Tage mit einer von Rheinberger eingerichteten und von Reger revidierten Fassung der „Goldberg-Variationen“ (Max-Reger-Halle, 20 Uhr).
Wer noch tiefer in den Kosmos Max Reger eintauchen möchte, wird im Weidener Stadtmuseum im Alten Schulhaus fündig. Der mächtige Kastenbau aus dem 16. Jahrhundert war früher Teil der Dienstwohnung von Regers erstem Klavier- und Orgellehrer Adalbert Lindner, der das außerordentliche Talent seines Schülers erkannt hat und den Kontakt zu Regers späterem Freund und Mentor Hugo Riemann herstellte. Heute beherbergt das Alte Schulhaus die Max-Reger-Sammlung mit Notenautografen, Erstdrucken und Dokumenten aus Regers umfangreicher Korrespondenz sowie einer Reihe von Regerabbildungen – Fotografien, Zeichnungen und Gemälde.
Zu Lebzeiten wurde der Komponist für seine hoch komplexen Werke gleichermaßen verehrt wie angefeindet: Paul Hindemith sah in ihm „den letzten Riesen in der Musik“, während Strawinsky über ihn urteilte, er sei „ebenso abstoßend wie seine Musik“. Was nichts daran änderte, dass Reger seinerzeit zu den meistgespielten zeitgenössischen Komponisten zählte, ehe er nach seinem frühen Tod mit 43 Jahren mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Nicht so in Weiden – ganz im Gegenteil: Dort bewahrte man sein Erbe, und die jährlich stattfindenden Festtage sind mitverantwortlich dafür, dass in den vergangenen zwanzig Jahren Regers Kompositionen immer öfter Eingang in die Konzertsäle und Kirchräume gefunden haben. So besehen hatte der Komponist fast schon eine prophetische Gabe, sagte er doch einmal über sich und seine Bedeutung für die Musikwelt: „In einigen Jahren wird man mich als reaktionär bezeichnen und zum alten Eisen werfen, aber meine Zeit wird kommen.“