Sie beschwören in Ihren Büchern und Bühnenprogrammen Wissenschaft und Rationalität. Wie rational ist es, in ein klassisches Konzert zu gehen?
Vince Ebert: Es ist überhaupt nicht rational! Wissenschaftler sind ja auch sinnliche Menschen. Eine Bach-Kantate kann man mathematisch aufdröseln. Beim Hören lasse ich mich aber auf die emotionale Wirkung ein. Ich gestehe, dass mir das bei einer Oper von Wolfgang Rihm schwerer fällt als bei Werken anderer Komponisten.
Gibt es Genres, denen Sie besonders zugeneigt sind?
Ebert: Lange Zeit habe ich den Walzer belächelt. Seitdem ich die Musik von Johann Strauss besser kennengelernt habe, geht mir dabei das Herz auf. Je intensiver man sich einer Sache zuwendet, desto mehr weiß man, was einem gefällt. Besonders beeindruckt war ich einmal nach einer öffentlichen Probe mit Nikolaus Harnoncourt, weil er mir als Laien zeigte, dass man Musikstücke hörbar anders dirigieren kann.
Kann klassische Musik die Welt retten?
Ebert: Das wäre schön! Aber sie können abends Mozart hören und am nächsten Tag im KZ ihre Arbeit als Mörder tun. Wenn ich meine Programme schreibe, habe ich zwar einen humanistischen Anspruch und appelliere an die Vernunft. Wir Menschen sind aber irrational. Kultur ist dazu da, um zu inspirieren, abzulenken, zu unterhalten. Ich bin mir sicher, Mozart hätte sich selbst als Unterhaltungskünstler gesehen. Er hat sich viel amüsiert. Würde er heute leben, säße er im Fernsehen in einer Samstag-Abend-Show und würde seine neue Oper promoten.