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Interview Alondra de la Parra

„Meine Seele ist voller Farben und Texturen“

Die Musik ihrer mexikanischen Heimat halte jede Menge Überraschungen bereit, meint Alondra de la Parra. Derzeit bietet sich die Gelegenheit, mehr davon zu hören

vonHelge Birkelbach,

Es macht Spaß, der 36-Jährigen bei der Arbeit zuzusehen. Dabei dachte sie als Kind noch, Dirigieren sei der langweiligste Job auf Erden. Weil die alten Herren da oben auf dem Pult nur steif herumstanden und ansonsten nicht viel passierte. Bei Alondra de la Parra ist das anders. Agil, voller Energie und geschmeidig wie eine Tänzerin lässt sie die Musik wie auch das Publikum schweben.

Zur 200-Jahr-Feier Mexikos hatten Sie ein ziemlich großes Publikum. Wie fühlte sich das an?

Es war fantastisch! Das waren über 100 000 Leute, weil das Konzert mitten in Mexiko City stattfand und in den Straßen TV-Geräte aufgestellt waren, die das Event übertrugen. Bei uns gibt es ein großes Interesse an klassischer Musik. Sie ist nicht so elitär wie in anderen Ländern. Zu Open-Air-Konzerten kommen wirklich alle, das ist ein mitreißendes Erlebnis. Und das Publikum war sehr konzentriert bei der Sache. Erstaunlicherweise sind gerade die großen Massen die ruhigsten. Ich dachte zwischendurch: Sind die jetzt alle weg, oder warum ist es so still?

Parallel zum Ereignis erschien die CD „Mi alma mexicana”. Wie sieht sie aus, Ihre „mexikanische Seele”?

Sie ist voller verschiedener Farben und Texturen, ein Kaleidoskop von Tradition und Eklektizismus. Unsere Geschichte ist älter als die Europas. Zahlreiche Kulturen und Einflüsse haben uns geprägt. Bei der Zusammenstellung der CD verfolgte ich insofern eine gewisse Absicht. Ich bemerkte, dass die Welt nicht wirklich die klassisch-sinfonische Musik meines Landes kennt. Viele denken, wir haben nur Folklore, Rhythmus, Tacos und Tequila – obwohl ich das alles liebe, ehrlich! Aber das Spektrum reicht viel weiter. Wir haben sehr komplexe, überraschende und auch ziemlich verrückte Kompositionen. „Ingueso” von Enrico Chapela basiert zum Beispiel auf der Faszination eines Fußballspiels. Chapela fragte sich: Was steht heute für die Identität unseres Landes, unseren Nationalstolz? Fußball! Der Sieg der mexikanischen Mannschaft über Brasilien beim Confederation Cup 1999 inspirierte ihn zu diesem Stück. Neun Minuten Musik reflektieren 90 Minuten des Spiels. Einen starken Einfluss übte die Musik Frankreichs auf unsere Komponisten aus, da viele in Paris studierten, später auch bei Darius Milhaud, der am Mills College in Oakland lehrte. Und selbstverständlich die Einflüsse der deutschen Klassik und Romantik mit Bach, Beethoven, Brahms.

In Ihrem Heimatland ist Spanisch die Nationalsprache. Inwieweit prägt die Sprache die Musik mexikanischer Komponisten?

Stark, da wir gerne rhythmisch arbeiten. „Sensemayá” von Silvestre Revueltas basiert zum Beispiel auf einem Gedicht von Nicolás Guillén. Revueltas übersetzte phonetisch jedes Wort in Noten. In den Trompeten findet sich das Wort „Sensemayá“ exakt wieder. Das ist so großartig! Aber nicht nur die Sprache, auch der Tanz hat einen großen Einfluss. Von Region zu Region wechseln die Tänze, die Tanzstile, die Lieder. Dabei sind die mexikanischen Tänze gar nicht so extrovertiert, wie man es aus Lateinamerika kennt, sondern äußerst elegant und subtil.

Tanzen Sie selbst gerne?

Na klar! Ich habe sogar als Kind Ballett gelernt, acht Jahre lang. Ich bin in der Welt des Balletts wie auch der Welt der Sinfonie großgeworden. Die zweite Frau meines Vaters war eine klassische Balletttänzerin. Ich war immer im Theater dabei und konnte die Compagnie bei ihren Proben und Aufführungen verfolgen. Ich liebe es, Ballettmusik zu dirigieren! Immer wenn sich die Möglichkeit dazu bietet, nehme ich sie wahr. Das Programm im Konzerthaus im Dezember ist wie für mich gemacht. De Falla, Ravel, Strawinsky – herrlich! Alles Produktionen, die auch Sergei Djagilew mit seinen Ballets Russes zur Aufführung brachte.

Wann trafen Sie die Entscheidung, Dirigentin zu werden?

Mit dreizehn oder vierzehn Jahren. Als Kind sang ich im Schulchor, wirkte im Schulorchester mit, am Cello und Klavier. Später spielte ich in Rockbands. Aber ich kümmerte mich immer auch um die Organisation. Als ich fünfzehn war, stand die Entscheidung: Ja, ich werde Dirigentin! Es hätte mich im Nachhinein sicher traurig gemacht, wenn ich es nicht probiert hätte. Scheitern gehört dazu.

Wie reagierten Ihre Eltern?

Sie waren wunderbar. Ich komme ja aus einer Künstlerfamilie. Sie sagten: Wir wissen zwar nicht, wie man Dirigent wird, aber wir helfen dir dabei. Mir war klar: Ich muss arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten. Alles lernen – von Komposition über Kontrapunkt, Musikgeschichte, Orchesterführung bis Akustik. Und immer wieder: mein Hören weiterentwickeln. In Mexiko bestand natürlich keine Möglichkeit für eine professionelle Dirigentenausbildung. Deshalb ging ich nach New York. Ich war ja da geboren und ging für die Ausbildung wieder zurück. In New York befand ich mich mittendrin im kulturellen und musikalischen Zentrum.

Was ist die wichtigste Fähigkeit, die ein Dirigent für seinen Job mitbringen muss?

Erfahrung und Intuition. Das ist es gerade, warum Dirigieren so ein harter Job ist und sich erst mit den Jahren voll entwickelt. Du wirst nicht damit geboren. Du musst die verschiedensten Fähigkeiten entwickeln: natürlich die Partitur in- und auswendig kennen, fähig sein, Probleme schnell und präzise zu fixieren, das Ohr ständig trainieren. Aber vor allem die Kommunikation ist wichtig. Du kannst ein wirklich guter Musiker, aber ein lausiger Kommunikator sein. Dann ist der Job definitiv nicht der richtige für dich. Mit den Gesten, der Mimik, dem ganzen Körper findest du den Zugang zu den verschiedenen Individuen im Orchester und verbindest dich mit ihnen.

Bei Ihrem letzten Konzert in Berlin trugen Sie eine grüne Samtweste und eine enge schwarze Hose. Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Garderobe aus?

Es sollte immer bequem sein. Das ist das Gute, wenn man eine Frau ist: Du musst keinen engen, steifen Anzug wie die männlichen Kollegen tragen. Ich habe befreundete Modedesigner in Mexiko und New York, denen ich genau erklären kann, was ich für die Bühne brauche. Es ist immer eine Herausforderung, aber ich habe klare Vorstellungen: Am Rücken sollte es lang sein, Freiheit für die Arme, nicht zu eng, aber auch nicht zu locker. Und es sollte immer dunkel sein. Bei starken Kontrasten und Farben können die Bewegungen zu hektisch wirken. Einige allzu weite Teile, die ich vor der Geburt meines Sohnes getragen habe, musste ich ausmustern. Luciano ist jetzt ein Jahr alt – und spielt übrigens nebenan.

Aha, ich höre gar nichts …

Er ist sehr konzentriert und beschäftigt, denke ich. Wir stören ihn gar nicht. Mein Mann und ich nehmen ihn gerne zu Konzerten mit, das geht ohne Probleme. Das erste Mal war er bei einem Galakonzert im Januar dabei, als er drei Monate alt war. Mein Mann und er saßen direkt neben den Kontrabässen. Luciano war ganz ruhig. Nach dem Konzert sagte einer der Bassisten, dass er die ganze Zeit ein komisches Schnalzen gehört habe. Das war Luciano, der seelenruhig am Schnuller nuckelte.

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