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Interview Arcadi Volodos

„Ich fühle mich oft wie ein Dinosaurier”

Der Pianist Arcadi Volodos über sein Verfallsdatum, das Zeitgefühl der Spanier und Globalisierung in der Musik

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Gewaltiger Tastendonner war gestern. Heute liebt der Klaviervirtuose Arcadi Volodos die leisen, zarten Töne, etwa die „Música Callada” („Stille Musik“) des katalanischen Komponisten Federico Mompou. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen nimmt Volodos eher selten CDs auf, die jedoch von der Kritik durch die Bank weg in den höchsten Tönen gelobt werden. Er hat zu sich gefunden – diesen Eindruck vermittelt der Russe auch im Gespräch mit concerti.

Im Alter von 25 rief man Sie zum legitimen Nachfolger von Horowitz aus, dann nannte man Sie einen Klavier-Schwarzenegger. Was sind Sie heute?

Weder das eine noch das andere. Mein Leben ist heute ganz, ganz anders als in den Neunzigern …

… als Presse und Marketing aus Ihnen den „neuen Horowitz” machten.

Ja, das war sehr leicht, weil die erste CD, die ich aufgenommen hatte, Werktranskriptionen gewidmet war, von denen einige von Horowitz selbst stammten. Ich habe das nie verstanden. Ich habe großen Respekt vor der Kunst von Horowitz, aber es gibt noch andere Musiker der Vergangenheit, die mir viel näher sind und die immer meine Idole waren, wie zum Beispiel Rachmaninow – er hat übrigens genauso viele Transkriptionen gemacht – oder Cortot, Gieseking, Schnabel … Was würden die heute wohl über den Musikbetrieb sagen? Das würde mich interessieren.

Was meinen Sie, würden sie sagen?

Dass alles nur noch visuell wahrgenommen wird und nicht mehr mit der Seele. Für die Musik ist das gar nicht gut. Und dann die vielen, vielen Konzerte heute. Diese Überpräsenz in allen Medien. Ich bin 17 Jahre nur gereist, ich konnte nicht mehr. Immer nur Hotel, Flughafen, Konzertsaal: Nichts anderes habe ich gesehen. Vor zehn Jahren fing ich an, mein Leben zu ändern. Ich lebe mein eigenes Leben heute. Ich bin von Paris weg…

… und nach Spanien gezogen.

Ich lebe jetzt in der Nähe von Madrid auf dem Land und an der Costa Blanca. Mir gefällt vor allem das Zeitgefühl der Spanier, alles geht wesentlich langsamer, es gibt keine Eile, keinen Stress. Für jemanden, der ständig so viel reist wie ich, ist das einfach wunderbar. Außerdem habe ich die Anzahl meiner Konzerte drastisch reduziert. Früher hatte ich etwa 200 pro Jahr, jetzt nur noch etwa 50. Ab Mitte 30 muss man erkennen: Wir sind keine Roboter. Ich brauche manchmal Wochen, um zu entspannen und dann wieder Kraft zu tanken. Man verliert an Frische, an Aufnahmefähigkeit, wenn man nicht Pausen macht. Außerdem beschloss ich vor einiger Zeit, in bestimmten Ländern nicht mehr aufzutreten.

In welchen denn?

In den USA. Ich mag die Atmosphäre nicht.

Abgesehen davon, dass man dort am Zoll nach 9/11 so hysterisiert ist, dass Flügel konfisziert und vernichtet werden …

… ja, schlimm, oder? Doch das war es nicht nur. Aber diese Standardisierung in den USA ist unerträglich. Ich bin bei einer Amerika-Tour fast verrückt geworden: 15 Konzerte, dreißig Flüge – und trotzdem hatte ich psychologisch das Gefühl, dass ich einfach nicht wegkam aus der Stadt. Bis zu meinem 30. Lebensjahr war das ja noch schön, aber danach will man Erinnerungen haben, und in dieser Sterilität hat man keine Erinnerungen. New York und San Francisco sind allerdings sehr schöne Städte. Was ich an Europa mag, sind die Tradition und die Unterschiede.

Aber auch hier setzt sich „dank” der EU die „globale” Norm immer mehr durch.

Das darf nicht sein! Standardisierung ist der Anfang vom Ende der Kunst; die Standardisierung tötet alles ab, jegliche Form der Individualität – und diese entscheidet doch erst darüber, ob man ein großer Künstler ist! Ich fürchte, dass mein Verfallsdatum schon eingetreten ist: Ich fühle mich oft wie ein Dinosaurier. Und dann die vielen CDs, die jeder meint, aufnehmen zu müssen, um präsent am Markt bleiben zu können.

Stimmt. Sie haben in so vielen Jahren der Zusammenarbeit mit Sony relativ wenig aufgenommen.

Eine CD bleibt sogar nach dem Tod, und ich möchte auch deshalb so wenig wie möglich machen. Sie müssen ganz herausragend werden. Ich will auch nicht tausendmal ein Werk einspielen, nur weil gerade das Brahms- oder das Liszt-Jahr ist: Das ist doch albern. Ich muss selbst in hoher Expressivität sein, um dann eine Aufnahme machen zu können. Diesen Anspruch stelle ich an mich selbst. Nur ganz selten bin ich zufrieden.

Das sagen mir alle großen Künstler!

Aber so bin ich eben einfach. Das Genie wird immer der Komponist bleiben und nicht der Interpret. An das Niveau des Komponisten kommen wir nicht annähernd heran. Außerdem: In einem Studio expressiv zu sein, ist auch nicht einfach. Man muss ein abstraktes Verhältnis zu sich schaffen und sich nicht sagen: Ich, Arcadi, spiele das jetzt so.

Sie haben einmal gesagt, das Publikum sei die beste Jury – meinen Sie das wirklich?

Ja und nein. Ja, weil man anders inspiriert ist, wenn man vor Publikum spielt, als wenn man alleine auf der Bühne ist. Und nein, weil es Werke gibt, die das Publikum nie verstehen wird.

„Wer dem Publikum hinterherläuft, sieht doch nur dessen Hinterteil”, schrieb Goethe.

Genau. Und deshalb darf man sich nie anbiedern, es sei denn, es handelt sich um Zugaben: Die hat dann das Publikum verdient.

Alles andere als Anbiederung sind die Werke Mompous, die Sie eingespielt haben. Diese Musik hat er nur für sich geschrieben, er wollte nicht gehört werden. Wie kann das sein?

Am Ende ihres Lebens suchen wohl alle großen Komponisten danach, nach dem Klang der Ewigkeit – denken Sie an Bach und an die „Kunst der Fuge”. Im Falle von Mompou kam noch die Mystik des San Juan de la Cruz (1542–1591, d. Red.) hinzu, die ihn faszinierte.

Federico Mompou sagte auch: „Ich bin kein Komponist … sondern Musik.”

Und ergänzte: „Ich komponiere nicht, ich dekomponiere.“

Wie könnte man dann seine „Música Callada”, die Sie aufgenommen haben, beschreiben?

Sie ist von orientalischem Geist. Nicht im Hinblick auf die Harmonie oder die Struktur: Da gibt es Analogien zu Ravel, Debussy, Skrjabin. Aber der Geist ist orientalisch. Es ist eine Musik, die keine Dualität zwischen Klang und Stille besitzt und keine Kontraste. Man weiß nicht, wo die Stille beginnt und der Klang aufhört, eine Musik, die sich auf das Wesentliche beschränkt.

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