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Blickwinkel: 75 Jahre RIAS Kammerchor – Dagmar Wietschorke

„Es war eine wahnsinnig bereichernde Zeit“

In dieser Saison feiert der RIAS Kammerchor sein 75-jähriges Bestehen. Dagmar Wietschorke ist Sopranistin und seit 1989 Mitglied des Ensembles und hat über persönliche Meilensteine und die Jubiläumssaison gesprochen.

vonIrem Çatı,

Sie haben Gesang studiert und auch schon in Opern mitgesungen. Warum haben Sie sich am Ende für eine Karriere im Chor entschieden?

Dagmar Wietschorke: Zunächst habe ich in Würzburg Grundschullehramt mit dem Hauptfach Biologie studiert, aber musiziert habe ich schon immer. Schon als Kind hatte ich Klavierunterricht, sang im Chor und erhielt später Gesangsunterricht. Am Ende habe ich mich für ein Zweitstudium in Gesang an der Musikhochschule in Würzburg entschieden und am Stadttheater eine Stelle im Chor mit Soloverpflichtung bekommen. Und auch wenn die Erfahrungen am Theater wunderbar waren, habe ich doch gemerkt, dass das nicht wirklich der richtige Ort für mich war. Zufällig habe ich dann die Stellenausschreibung für einen Sopran im RIAS Kammerchor entdeckt und mich dafür beworben. Dann ging alles ganz schnell: Ich bin zum Vorsingen nach Berlin gefahren und habe gleich die Stelle bekommen.

Sie sind seit 1989 Teil des RIAS Kammerchores. Haben Sie jemals daran gedacht, etwas anderes zu machen?

Wietschorke: Die Arbeit im RIAS Kammerchor ist so vielfältig und abwechslungsreich. Das liegt schon daran, dass wir ein Repertoire von der Alten Musik bis zur Uraufführung bedienen. Hinzu kommt, dass der Chor permanent in Bewegung ist. Auch wenn das Ensemble größtenteils aus langjährigen festen Mitgliedern besteht, kommen im Laufe der Zeit neue Kolleginnen und Kollegen hinzu. Dadurch formiert sich jedes Mal ein neuer Klang. Ein Grund für mich, warum ich in einem Rundfunkchor singen wollte, ist auch, dass man mit den besten Orchestern und Solistinnen und Solisten der Welt arbeitet und die Bühnen der Welt kennenlernt. Das finde ich so spannend, dass ich die letzten 34 Jahre als Geschenk erlebt habe.

Seit 1989 Mitglied im RIAS Kammerchor: Dagmar Wietschorke
Seit 1989 Mitglied im RIAS Kammerchor: Dagmar Wietschorke

Was waren Ihre schönsten Momente im Chor?

Wietschorke: Ich erinnere mich gerne an unser Strawinsky-Projekt 2005 mit Daniel Reuss zurück. Dafür sind wir nach Aix-en-Provence gereist und haben „Les noces“ aufgeführt. Der Konzertort war eine alte Scheune mitten in der Wildnis, umfunktioniert zu einer Konzerttribüne. Das war einfach ein wunderbares Gesamterlebnis und wird mir immer in Erinnerung bleiben. Beeindruckend war auch das Konzert „Das Treffen in Telgte“ mit der Capella de la Torre in Lübeck. Günter Grass war damals persönlich im Konzert und hat spontan eine kurze Passage aus seiner Erzählung gelesen, genau wie seine Tochter Helene, die dramaturgisch durchs Konzert geführt und ebenfalls Texte aus seinem Buch gelesen hat. Das spannt jetzt einen schönen Bogen zur Jubiläumssaison. Das Programm werden wir nämlich im Herbst anlässlich der 375-Jahr-Feier des Westfälischen Friedens in Osnabrück aufführen.

In dieser Saison feiert der RIAS Kammerchor sein 75-jähriges Bestehen. Was waren besondere Meilensteine in der Geschichte des Ensembles?

Wietschorke: Das waren für mich die Chefdirigenten, die dann doch jeder auf seine Art den Chor geprägt haben, angefangen vor meiner Zeit mit Uwe Gronostay als Wegbereiter dieses einzigartigen Klanges, dann Marcus Creed, der die Zusammenarbeit mit der Akademie für Alte Musik etabliert und weitergeführt hat. Mit ihm haben wir unter anderem 1996 Kreneks „Lamentationes“ aufgeführt. Der nächste war Daniel Reuss mit seinem Faible für die Musik des 20. Jahrhunderts. Er hatte damals beispielsweise den Mut zu einem interdisziplinären Crossover-Projekt: „Lost Objects“, das wir mit Solistinnen und Solisten, Concerto Köln und einem DJ im Alten Schlachthof Dresden aufgeführt haben. Danach kam Hans-Christoph Rademann, der sich der Bach-Familie verschrieben hat, mit dem wir aber auch eine wunderbare Uraufführung von Samir Odeh-Tamimi anlässlich des 20-jährigen Mauerfall-Jubiläums auf die Bühne gebracht haben. Anschließend haben wir es in Jerusalem noch einmal aufgeführt und konnten in Ramallah an einem Education-Projekt teilnehmen. Das war ein echter Meilenstein. Dann sind wir schon bei Justin Doyle, der unser jährliches Neujahrskonzert zu einer Händel-Reihe umfunktioniert und neue Formate wie „Freitag ¾ sechs“ eingeführt hat.

Marcus Creed, Daniel Reuss und Hans-Christoph Rademann sind in der Jubiläumssaison zu Gast. Bei wem ist die Wiedersehensfreude besonders groß?

Wietschorke: Bei allen! Aber mich ganz persönlich hat die Ära Marcus Creed geprägt, weil ich da neu in den Chor gekommen bin und ganz viel gelernt habe. Es war eine wahnsinnig bereichernde Zeit.

Worauf freuen Sie sich besonders in der Jubiläumssaison?

Wietschorke: Wie schon gesagt auf „Das Treffen in Telgte“. Dann freue ich mich besonders auf das Haydn-Projekt mit dem Freiburger Barockorchester und natürlich die Chefdirigenten, die ich erlebt habe. Ich denke, es wird wirklich eine interessante und bunte Mischung.

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