Das Music Lab ist ein digitales Orchester, bei dem jeder mittels Videobeitrag mitmachen kann. In zahlreichen Tutorials erklären Mitglieder der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, wie die Teilnahme funktioniert, mit oder ohne Instrument, mit oder ohne Vorkenntnisse – jeder hat die Möglichkeit. Gespielt wird jeweils ein berühmtes klassisches Musikstück. Die eingesendeten Beiträge werden am Ende via Splitscreen zu einem großen Musikvideo zusammengefügt. Managin Director Albert Schmitt gehört mit zu den Initiatoren des Projekts.
Was ist der Grundgedanke des Music Lab?
Albert Schmitt: Das Music Lab basiert auf der Denk- und Handlungsweise unseres Zukunftslabors, mit dem wir uns ja seit 2007 der Aufgabe verpflichten, mithilfe von Musik die Lebensmöglichkeiten von Menschen zu verbessern. In der Pandemie wurden sehr viele Menschen auf sich selbst zurückgeworfen. Wir wollten und wollen in der Krise Anregungen liefern, besser damit zurechtzukommen. Wir wollen Musik nutzen, um Menschen Perspektiven zu eröffnen. Um dabei möglichst viele zu erreichen, funktioniert das natürlich am besten übers Netz. Dann haben wir beobachtet, dass bei Orchestern und Chören überall auf der Welt plötzlich das Verfahren mit Splitscreens stark im Trend war. Gleichzeitig haben wir aber festgestellt, dass es nirgendwo Möglichkeiten oder Anleitungen gibt, wie man mitmachen kann, wenn man nicht zufällig selber Musiker ist. Das hat uns veranlasst, das Ganze mit Musikvermittlung in Verbindung zu bringen und so ist das Music Lab entstanden.
Woher kam die Idee zum Projekt?
Schmitt: Da es sehr lange dauerte, bis freie Ensembles wie Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen von der Politik eine Kompensation für Corona-Ausfälle erhalten haben, war uns relativ schnell klar, dass wir darauf nicht warten konnten. Also haben wir die Gelegenheit genutzt, uns neu zu erfinden. Wir haben das gesamte „kollektive Gehirn“ der Kammerphilharmonie genutzt, um unterschiedlichste Ideen in einem Kreativpool zu sammeln mit der Frage: Wie können die Musiker während der Pandemie weiter beschäftigt werden und was können sie unter Corona-Bedingungen leisten? Ergebnis waren unglaublich viele tolle Projektideen, von denen das Flaggschiff dann das Music Lab wurde.
Wen soll das Music Lab ansprechen?
Schmitt: Das Music Lab ist eine Einladung an alle, sich mit klassischer Musik zu beschäftigen oder sich dem Thema weiter anzunähern – und das mit den Möglichkeiten, die man zu Hause hat. Es gibt verschiedene Zugänge: Man kann mit oder ohne Instrument teilnehmen, bekommt verschiedene Schwierigkeitsgrade angeboten sowohl bei Notentexten als auch bei den jeweiligen Video-Tutorials – es ist völlig voraussetzungslos, so dass im Grunde wirklich jeder mitmachen und sein Teilnahmevideo online einsenden kann.
Was passiert dann mit den eingesendeten Videos?
Schmitt: Alle Beiträge werden von uns in einem Splitscreen zusammengebaut, und der wird dann so choreografiert, dass sich wirklich alle Teilnehmer wiederfinden. Jeder kommt mal vor, wenn auch manchmal nur sekundenweise.
Was bekommen Sie für Rückmeldungen von den Teilnehmenden?
Schmitt: Die Rückmeldungen sind überwältigend positiv. Die Menschen freuen sich, dass es überhaupt so ein Angebot gibt, und sind begeistert von der Art und Weise, wie das Ganze funktioniert – wir haben damit viele glücklich gemacht, das kann man an den Rückmeldungen erkennen. Es handelte sich ja um ein Experiment. Wir haben in Absprache mit unserem Wertepartner dm drei Runden verabredet, und wenn es dann nicht funktioniert, dann lassen wir es sein – jetzt findet das Music Lab – dank der finanziellen Unterstützung von dm – schon zum fünften Mal statt. Es ist schon ein voller Erfolg, dabei ist das erst der Anfang.
Heißt das, es sind weitere Projekte dieser Art angedacht?
Schmitt: Erstmal ist es uns wichtig, dieses Projekt zu optimieren. Es war ein erster Versuch mit diesem Format, das hat recht gut funktioniert. Jetzt muss es skaliert und in Dimensionen geführt werden, die potentiell darin liegen. Denn die haben wir sicher noch nicht erreicht, da geht noch ganz viel mehr.
Wie viele Teilnahmen gibt es denn im Schnitt?
Schmitt: Das ist unterschiedlich und hängt auch mit der Popularität des Stückes zusammen.
Nach welchen Kriterien werden die Stücke ausgewählt, die im Music Lab gespielt werden?
Schmitt: Da wir die Menschen ja voraussetzungslos erreichen wollen, haben wir natürlich erstmal Stücke ausgewählt, die einen gewissen Bekanntheitsgrad haben. Stücke, die man vielleicht schon mal in der Werbung gehört hat, die in einem Spielfilm zum Einsatz gekommen sind oder die ohnehin sehr bekannt sind wie zum Beispiel die Carmen-Ouvertüre, Rossinis „Wilhelm Tell“ oder jetzt Ravels „Bolero“.
Wie stehen die Musikerinnen und Musiker der Kammerphilharmonie zu dem Projekt?
Schmitt: Die Musiker der Deutschen Kammerphilharmonie sind ja bekannt für ihre Experimentierfreude. In einem anderen Umfeld hätte man dieses Projekt vielleicht nicht gewagt. Wenn wir solche Experimente machen, dann ist das immer inspiriert von der Haltung, Neugier und Innovationsfreude unserer Musiker. Sie alle haben ein großes Interesse daran, dass die Klassik Verbreitung findet, neues Publikum findet und in der Gesellschaft eine höhere Relevanz bekommt. Deshalb engagieren sie sich auch sehr.
Was kann man aus solchen Projekten für die Zukunft lernen?
Schmitt: In der Pandemie haben wir erfahren, dass die Kultur von einem auf den anderen Moment nahezu komplett lahmgelegt werden kann. Dabei ist sie gerade in solchen Phasen wichtiger denn je. Für uns war es deshalb elementar wichtig, dass wir mit Projekten wie diesem trotzdem weitermachen können. Man darf nicht untertauchen, sondern muss die Kultur durch Ideen, Innovationen und Impulse am Leben erhalten, um so ihre Zukunft aktiv mitzugestalten.
Digitale Formate sorgen heute in der Klassikwelt häufig für Kontroversen, vor allem im Vergleich zum Live-Format.
Schmitt: Das ist ein spannender Punkt. Nach meiner Beobachtung scheinen immer noch viel zu viele Kultureinrichtungen anzunehmen, dass man das, was man immer macht, also Konzerte, einfach filmt und ins Netz stellt. Das ist aus meiner Sicht ein großes Missverständnis, denn damit ist nichts gewonnen. Vielmehr muss man das Wesen des Internets verstehen und lernen, wie es sich von den üblichen Formaten unterscheidet, die wir aus den Konzertsälen kennen. Das ist eine völlig andere Welt, die nach ganz anderen Regeln funktioniert. Und wenn man das verinnerlicht hat, kann man mit Experimenten wie dem Music Lab sehr fruchtbare Art und Weisen des Austausches entwickeln, die das Live-Erlebnis nicht etwa ersetzen, sondern mit ganz neuen Mitteln darauf hinführen.
Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung des Projekts mit dem OPUS Klassik?
Schmitt: Das ist natürlich die Krönung des Ganzen. Wenn man experimentiert, gibt es immer die Möglichkeit des Scheiterns. Aber wenn es funktioniert, ist es das Beste, was einem passieren kann. Der OPUS ist eine Belohnung für den Mut, das erfolgreiche Wagnis und ist gleichzeitig natürlich auch Inspiration, weiterzugehen.
Teilnahmen für das aktuelle Music Lab mit Ravels „Bolero“ sind noch bis zum 31. Oktober 2021 möglich. Hier gibt es weitere Infos.